Kalymnos – Insel deines Schicksals
merkwürdiges Verhalten erklären. Bestimmt hast du Recht, und er hatte das Ganze wirklich vergessen. Aber als ihm diese Illustrierte mit deinem Foto und dem Artikel über Alastairs Verlobung in die Hände geraten ist, hat er sich gedacht, daraus Kapital schlagen zu können ..."
Sir Edwin unterbrach sich. „Wie kann ein Mensch nur so von Rachegedanken besessen sein?"
„Das verstehe ich auch nicht. Und um das herauszufinden, bleibt wohl nur eins übrig.
Ich muss zu ihm fahren und mit ihm reden."
„Schlag dir das endlich aus dem Kopf. Jetzt, da wir wissen, wo der Kerl wohnt, werde ich ihm schreiben und ihn fragen, wie viel er verlangt."
„Ich glaube kaum, dass er darauf antworten wird. Außerdem ist dafür die Zeit schon fast zu knapp. Ich soll nämlich spätestens eine Woche vor Alastairs Hochzeit auf Kalymnos sein."
„Das ist ja interessant." Sir Edwin sah freudestrahlend vom Schreibtisch auf. „Es erhöht beträchtlich unsere Chancen, dass er ein armer Schlucker ist."
„Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat."
„Dann will ich es dir erklären, Julie", sagte Edwin triumphierend. „Wenn er genug Geld für den Flug hätte, könnte er sich notfalls auch noch am Tag vor der Hochzeit auf den Weg machen, wenn du bis dahin nicht bei ihm bist. Mit Bahn und Schiff reicht das natürlich nicht. Darum will er, dass du eine ganze Woche vor der Hochzeit da sein sollst."
Das Argument leuchtete Julie ein. „Dann sollte es reichen, wenn ich fünfhundert Pfund mitnehme, meinst du nicht?"
Ungläubig sah ihr Onkel sie an. „Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Du wirst nicht fahren."
„Doch, Onkel Edwin, ich werde fahren. Und du brauchst gar nicht zu versuchen, es mir auszureden. Ich weiß genau, was ich zu tun habe. Doneus will, dass ich zu ihm nach Kalymnos komme und seine Frau werde. Also werde ich zu ihm fahren. Nicht, um ihn zu heiraten, sondern um mit ihm zu reden und ihm das Geld anzubieten."
Sie stritten noch eine ganze Weile darüber, ob Julie tatsächlich fahren sollte. Aber Julie bestand darauf. Schließlich sei sie kein Kind mehr und es sei nicht das erste Mal, dass sie allein verreise, erinnerte sie ihren Onkel.
„Na gut, Julie, wie du meinst", willigte er schließlich ein und schien sogar ein wenig erleichtert, dass endlich eine Entscheidung gefallen war. „Allerdings unter einer Bedingung. Du bietest ihm nicht mehr als zweihundert Pfund. Wahrscheinlich wird er sich auch mit viel weniger zufrieden geben." Er schüttelte den Kopf. „Nein, Julie, ich habe wahrlich nicht vor, mein Geld zum Fenster rauszuwerfen. Zweihundert Pfund sind genug. Und wenn er die akzeptiert, sind wir billig davongekommen."
„Ist das Geld tatsächlich deine einzige Sorge?" Julie war erbittert. Hielt ihr Onkel zweihundert Pfund für einen angemessenen Preis, um eine junge Frau freizukaufen, die immerhin seine Nichte war?
2. KAPITEL
Je näher das Schiff dem Hafen von Kalymnos kam, umso deutlicher wurden die glitzernden Punkte auf dem Wasser als Reflexe der vielen kleinen Häuser erkennbar, die wie an einer Perlenschnur entlang der Küste aufgereiht waren. Julie stand an der Reling und blickte in die Dunkelheit. So nah, wie sie einigen der unzähligen kleinen ägäischen Inseln in den letzten Stunden gekommen waren, hatte sie schon mehrfach gedacht, das Ziel ihrer Reise erreicht zu haben. Nun aber war sie sich sicher, denn das Schiff nahm direkt Kurs auf den kleinen Hafen.
Sie war bis Rhodos geflogen und dort an Bord der Knossos gegangen, die sie nach Kalymnos bringen, jedoch erst gegen zweiundzwanzig Uhr dort ankommen sollte. In einem Brief hatte sie Doneus Lucian mitgeteilt, dass sie sich deshalb erst am nächsten Tag bei ihm melden würde. Eine Antwort hatte sie allerdings nicht erhalten. Allem Anschein reichten seine Englischkenntnisse dafür nicht aus.
Julie war die einzige Ausländerin unter den Passagieren, und außer ihr befanden sich fast nur Männer an Bord, die es, kaum hatte das Schiff festgemacht, ungeheuer eilig hatten, an Land zu kommen. Entsprechend groß war das Geschiebe und Gedränge vor der Gangway, und Julie zog es vor, zu warten, bis sich das Durcheinander gelegt hatte.
Währenddessen sah sie sich die Männer genauer an. Sie waren ausnahmslos groß und kräftig, und ihre Haut war von der Sonne gegerbt. Trotz der milden Temperaturen trugen die meisten von ihnen dicke Pullover und schwarze Pudelmützen. Vielleicht sind sie ja auch Schwammtaucher, dachte Julie, und
Weitere Kostenlose Bücher