Kalymnos – Insel deines Schicksals
Gefühlen verunsichert. Im Grunde genommen hätte er ihr Leid tun müssen, schließlich hatte ja nicht er, sondern Alastair das Unheil heraufbeschworen. Statt Mitleid empfand sie jedoch nichts als Verachtung für ihn, weil er ein solches Versprechen abgegeben hatte - und mochte es auch in dem Glauben gewesen sein, von dem Fremden nie wieder etwas zu hören.
„Glaubst du wirklich, dieser Aidoneus meint seine Drohung ernst?" fragte Sir Edwin besorgt.
Bei der Erwähnung seines richtigen Namens zuckte Julie unwillkürlich zusammen.
Denn so schön der Name eigentlich klang, war er doch nur eine Umschreibung für Hades, den Gott der Unterwelt. Dieser hatte eines Tages die schöne Persephone beobachtet, die mit ihren Begleiterinnen, den Nymphen, zusammensaß. Von ihrer Schönheit über alle Maßen fasziniert, hatte er sie von den lichten grünen Hügeln Griechenlands in sein finsteres Reich entführt und sie gezwungen, dort ein Drittel des Jahres an der Seite ihres grausamen Gatten zu verbringen. Und jetzt wollte dieser Aidoneus sie, Julie, aus ihrem geliebten England entführen und sie zwingen, sieben Monate im Jahr auf einer kargen griechischen Inseln namens Kalymnos mit ihm zu leben.
„Davon bin ich zutiefst überzeugt", antwortete sie endlich. „Sonst hätte er kaum das viele Geld ausgegeben und die Frau hierhergeschickt."
„Aber wenn er es wirklich ernst meint, warum ist er dann nicht selbst gekommen?"
„Wahrscheinlich, weil er befürchtet hat, dass du wirklich zur Polizei gehst." Das war jedenfalls die einzige Erklärung, die Julie in der vergangenen Nacht auf diese Frage eingefallen war.
„Dann hat er also jemand anderes vorgeschickt, weil er selbst zu feige ..."
„Wie kommst du denn darauf?" unterbrach sie ihn. Wenn Doneus Lucian tatsächlich Schwammtaucher war, konnte er un-möglich ein Feigling sein. Dafür war der Beruf viel zu gefährlich. Nein, was immer man über Doneus auch denken mochte, Feigheit war das Letzte, was man ihm vorwerfen konnte.
„Weil nur ein verdammter Feigling auf die Idee kommen würde, zum Ausgleich für ein Unrecht, das ihm vermeintlich angetan wurde, die Hand eines neunjährigen Kindes zu verlangen."
„Erstens hat er nicht die Hand eines neunjährigen Kindes, sondern einer neunzehnjährigen jungen Frau verlangt", erklärte Julie ihrem Onkel. „Zweitens ist ihm nicht vermeintlich, sondern tatsächlich Unrecht geschehen. Und drittens in einer Art und Weise, die für einen Südländer garantiert schlimmer ist, als wir uns das vorstellen können. Er hat schließlich nicht nur seine Verlobte verloren, sondern darüber hinaus auch seine Ehre und seinen Stolz."
„Und woher hat er das viele Geld?"
„So teuer ist die Reise auch wieder nicht. Zumal dann, wenn man sich etwas Zeit nimmt und mit der Eisenbahn und dem Schiff fährt, statt zu fliegen."
„Vielleicht hast du Recht", musste ihr Onkel zugeben. „Ich habe keine Ahnung, was so eine Zugfahrt kostet, weil ich immer fliege, wenn ich größere Entfernungen zurücklegen muss."
Julie ärgerte sich über diese arrogante Bemerkung. „Ein bisschen Geld scheint er sogar noch übrig zu haben. Schließlich hat er nicht nur die Frau geschickt, sondern gedroht, selbst zu kommen."
Nervös trommelte Sir Edwin mit den Fingern auf die Lehne seines Sessels. „Es ist mir unbegreiflich, wie man nach so vielen Jahren noch auf Rache sinnen kann."
„Mir auch, Onkel Edwin", gab Julie zu. „Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, dass er seine Drohung wahr macht. Lavinia liebt Alastair so sehr, dass es sie völlig aus der Bahn werfen würde, wenn sie erfahren müsste, dass er ein anderes Mädchen auf dem Gewissen hat..."
„Ich verbiete dir noch einmal, so zu reden, Julie!"
„Aber wenn es doch stimmt...?"
„Zum letzten Mal", unterbrach er sie zornig. „Es war ein Unfall."
„Das, was er ihr vorher angetan hat, auch?"
„Bitte, Julie, lass uns nicht wieder streiten", lenkte Sir Edwin ein. „Ich verstehe ja, dass du dir das alles zu Herzen nimmst.
Aber zehn Jahre müssten doch reichen, damit endlich Gras über die Sache gewachsen ist. Warum hat dieser Doneus nicht längst geheiratet und eine Familie gegründet?"
„Weil er mich heiraten will!" Plötzlich kam ihr ein ungeheuerlicher Gedanke. „Hältst du es für möglich, dass er das Ganze längst vergessen hatte und erst durch das Foto daran erinnert wurde?"
„Das ist gut möglich", pflichtete ihr ihr Onkel bei. „Das würde auch sein
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