Kalymnos – Insel deines Schicksals
das Einzige, was Julie ein wenig Kummer bereitete. Im Übrigen genoss sie es, in der fröhlichen Runde zu sitzen, in der auch Doneus richtiggehend aufblühte. Endlich erlebte Julie ihn wieder so fröhlich und gelöst, wie sie ihn einst kennen gelernt hatte.
„ Soll ich dir noch den Park zeigen?" fragte er nach dem Essen.
„Gern", erwiderte sie, „aber hast du nicht zu tun?"
„Ein paar Minuten kann ich noch erübrigen", zerstreute er ihre Bedenken.
„Wäre es nicht möglich, dass du das ganze Jahr über hier arbeitest?" Wie aus heiterem Himmel war Julie dieser Gedanke gekommen, während sie durch die weitläufige Grünanlage spazierten.
Doneus hatte sofort begriffen, was sich hinter dieser Frage verbarg. „Befürchtest du, mir könnte es so ergehen wie den anderen Gärtnern?"
Julie blieb unvermittelt stehen. Warum sagte sie ihm nicht endlich, was sie für ihn empfand? Aber irgendetwas hielt sie davon ab, und wenn es nur die Angst vor seiner Reaktion war. Denn zwangsläufig musste er sie enttäuschen - schließlich liebte er sie nicht. Und an seiner Entscheidung, in wenigen Tagen das Schiff zu besteigen, das ihn und seine Kollegen an die südlichen Küsten des Mittelmeeres bringen würde, konnte sie ohnehin nichts ändern.
Doneus missverstand Julies Schweigen gründlich. „Keine Sorge", teilte er ihr mit. War es noch Bitterkeit oder schon Sarkasmus, was sie in seiner Stimme hörte? „Selbst wenn es so käme, würde ich dir bestimmt nicht zur Last fallen."
Julie konnte die Tränen kaum zurückhalten. Wie konnte Doneus nur so von ihr denken? Weil sie ihn nicht merken lassen wollte, wie es um sie stand, riss sie sich zusammen. „Ich habe dich lange genug von der Arbeit abgehalten", sagte sie so sachlich wie möglich, drehte sich um und machte sich auf den Heimweg.
Lambri, wie das Osterfest auf Griechisch heißt, wurde auf Kalymnos nach jahrhundertealten Traditionen begangen.
Am ersten Samstag der Karwoche stellten die Kinder der Insel den Leidensweg des Lazarus nach. Sie ließen sich in den Staub fallen und sprangen nach kurzer Zeit wieder auf, um so die biblische Erzählung der wundersamen Heilung zu symbolisieren. Dann klopften sie an jedem Haus und erhielten zum Lohn kleine Geschenke.
Am Palmsonntag wurden in einer feierlichen Prozession in jedes Haus Myrtenzweige gebracht, mit denen die Heiligenbilder und Ikonen geschmückt wurden. Damit glaubten die Bewohner, im kommenden Jahr das Böse von sich und ihrer Familie abhalten zu können.
Am Mittwoch der Karwoche segnete traditionell der Bischof der Insel die Schiffe, mit denen die Schwammtaucher in wenigen Tagen in See stechen würden.
Julie und Doneus waren aus diesem Anlass gemeinsam in den Hafen gefahren und beobachteten, wie auf einem der Schiffe, das stellvertretend für die ganze Flotte gesegnet werden sollte, ein kleiner Altar aufgebaut und anschließend feierlich geschmückt wurde.
Dann nahm der Bischof eine Schüssel mit Wasser, tauchte einen Myrtenzweig hinein und besprenkelte mit der Flüssigkeit zum Zeichen des Segens nicht nur das Schiff und sämtliche Ausrüstungsgegenstände, sondern auch die Besatzung.
So beeindruckend die Zeremonie auch war, hegte Julie einige Zweifel an ihrer Wirksamkeit. „Mögen alle heil und gesund zurückkehren", flüsterte sie, auch wenn sie wusste, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.
Der Gründonnerstag stand ganz im Zeichen der Vorbereitung des Osterfestes. Die Frauen der Insel färbten Eier und buken tsoureki, ein Brot, das es ausschließlich zu Ostern gab. Unterdessen trafen sich die Männer in den Tavernen, wo sie so manches Glas leerten.
Denn am Karfreitag war daran nicht zu denken, dazu waren die Gebräuche viel zu streng. Während des Vormittages war kein Mensch auf den Straßen, aber pünktlich um fünfzehn Uhr versammelten sich alle Bewohner der Insel in Kalymnos zur großen Prozession. An der Spitze des Zuges trugen zwei Männer ein Abbild des Gekreuzigten, und der Priester stimmte ein Klagelied an, in das die ganze Gemeinde einstimmte.
Der Höhepunkt der Feierlichkeiten fand in der Nacht vom Ostersamstag auf den Ostersonntag statt. Pünktlich um dreiundzwanzig Uhr riefen die Glocken alle Gläubigen zur Auferstehungsfeier in die Kirche. Als einzige Beleuchtung waren auf dem Altar Dutzende Kerzen aufgestellt, so dass das Kirchenschiff in ein fast unheimliches Licht getaucht war.
Nachdem die Gemeinde einige Choräle gesungen hatte, wurden um Mitternacht sämtliche Kerzen auf
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