Kalymnos – Insel deines Schicksals
forderte Julie auf, und auch wenn sie noch nie sirtaki getanzt hatte, fielen ihr die Schritte erstaunlich leicht, und nach wenigen Minuten hatte sie richtig Spaß daran.
Die Sonne war längst untergegangen, als Julie und Doneus sich verabschiedeten und auf den Heimweg machten. „Bist du sehr müde?" fragte Doneus, als er sah, dass Julie sich im Sitz des Wagens zurücklehnte und die Augen schloss.
„Das kann ich nicht leugnen", erwiderte sie. „Aber ich habe den Tag sehr genossen."
Während der weiteren Fahrt sprach keiner der beiden ein Wort. Anders als so oft war es diesmal kein bedrücktes Schweigen. Vielmehr schien eine stille Übereinstimmung zwischen ihnen zu herrschen, denn als sie zu Hause angekommen und aus dem Wagen gestiegen waren, fanden sie sich unversehens auf der Veranda wieder.
Die Nacht war aber auch viel zu schön, um sie im Haus zu verbringen. Am wolkenlosen Himmel glitzerten unzählig viele Sterne, und das Licht des Vollmondes tauchte die Landschaft in ein mildes und betörendes Licht.
„Wenn nicht in einer solchen Nacht ...", kam es Julie in den Sinn, und instinktiv machte sie einen Schritt auf Doneus zu. Ob er dasselbe fühlte? Mit leicht geöffnetem Mund und bebenden Lippen sah sie zu ihm auf. Sie hatte den Tag wirklich genossen.
Unvergesslich würde er ihr allerdings erst dann, wenn Doneus sie jetzt in den Arm nehmen und sie an sich drücken würde, sie küssen und ...
So klein die Geste war, mit der er auf ihren Blick reagierte, Julie begriff sie als Aufforderung, sich an ihn zu schmiegen. Sehnsüchtig erwartete sie seinen Kuss, den sie so innig erwidern würde, dass Doneus außer Stande wäre, sie länger von sich zu weisen.
Aber anstatt sich zu ihr herunterzubeugen und sie zu küssen, nahm er ihre Hände und sah Julie mit einem Lächeln an, das eher gequält als erfreut wirkte - was sie ziemlich verunsicherte. In England hatte sie den Neid all ihrer Freundinnen auf sich gezogen, weil sie mit ihrer Schönheit und Anmut allen jungen Männern aus der Umgebung den Kopf verdrehen konnte. Nur ihr eigener Ehemann schien absolut unbeeindruckt. Ein Mal, ein einziges Mal nur hatte er ihr das Gefühl gegeben, dass er sie begehrte. Wie sehr sie sich danach sehnte, es erneut erleben zu dürfen!
Sie schmiegte sich fester an ihn und blickte mit großen Augen zu ihm auf. Sie versuchte nicht einmal, ihre geheimsten Wünsche vor ihm zu verbergen. Und tatsächlich schien es, als hätten ihr Charme und ihr verführerisches Werben seine Sturheit und seinen Stolz besiegt, denn ganz langsam beugte er sich zu ihr herunter, bis sich endlich ihre Lippen trafen.
Doch welche Enttäuschung! Nichts von dem, was sie erhofft hatte, lag in diesem Kuss.
Kein Verlangen und kein Begehren, keine Verführung und kein Überreden. Viel zu flüchtig, fast beiläufig war dieser Kuss, als dass Julie hätte hoffen können, Doneus würde in dieser Nacht ihre Sehnsucht stillen.
Und so überraschte es sie auch nicht, als er sich unversehens von ihr löste. „Lass uns reingehen, Julie", sagte er kühl, und seine Stimme schnitt ihr ins Herz. „Es ist spät geworden. Jason wird sich schon wundern, wo wir bleiben."
10. KAPITEL
Kaum hatte der Frühling Einzug gehalten, begannen im Hafen von Kalymnos die Vorbereitungen für die Abreise der Schwammtaucher. Während die Männer fieberhaft daran arbeiteten, die Schiffe vom Kiel bis .zur Brücke zu überholen, buken die Frauen in steinernen Öfen, die entlang der Mole aufgebaut waren, Unmengen Brot und legten Fleisch in Salz ein, von dem sich ihre Männer in den nächsten Monaten ernähren würden.
Im ganzen Dorf schien es nach Essen zu duften, und Julie, die das rege Treiben beobachtete, fragte sich, welche Fügung es gewollt hatte, dass die Vorbereitungen ausgerechnet in die letzte Woche der Fastenzeit fielen.
Vielleicht war es ja ganz gut so, denn sonst wäre manch einer vielleicht der Versuchung erlegen, wenigstens einen Teil der Köstlichkeiten schon vor der Abfahrt aufzuessen.
In diesen letzten Tagen vor Ostern war der Ort kaum wiederzuerkennen. Was bis vor kurzem noch dörflich verschlafen gewirkt hatte, schien wie die Natur ringsherum zu neuem Leben erwacht. Dafür war nicht zuletzt die Tatsache verantwortlich, dass den Tauchern ein Teil ihres Lohnes traditionell bereits vor der Abfahrt ausgezahlt wurde. Und das machte durchaus Sinn, denn schließlich mussten ihre Familien ja auch von irgendetwas leben.
Nicht wenige schienen diesen Brauch allerdings missverstanden
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