Kammerflimmern
gelegen.
Und dann war sein Vater einfach gestorben.
Audun schluchzte auf.
Er war immer eine Enttäuschung für seinen Vater gewesen. Schlecht in der Schule, ganz anders als seine beiden Schwestern. Kein guter Sportler, auch wenn er gern Schlittschuh und Ski lief. Als er mit einem Audi Quattro nach Hause gekommen war und sich eine Wohnung in Majorstua gekauft hatte, war der Vater auch nicht versöhnt gewesen, da Audun zweiundzwanzig Jahre alt war und nicht einmal Pläne für eine Ausbildung hatte. Jetzt war er vierundzwanzig, war arm wie eine Kirchenmaus und hatte die beiden Fächer, bei denen er im Abitur durchgefallen war, noch immer nicht nachgeholt.
Seine Mutter hatte ihn oft angerufen. Die Schwestern auch. Noch andere hatten versucht, ihn per Mobiltelefon zu erreichen, von Nummern aus, die ihm unbekannt waren. Er hatte keinen Anruf beantwortet, und am Vorabend hatte er sein Telefon in die Themse geworfen. Glaubte er jedenfalls.
Er wusste doch, was sie alle sagen wollten.
Sein Vater war tot, und er hatte nicht einmal seine Mutter angerufen.
9.16 Uhr
Båtstøjordet, Høvik, Bærum
»Thea schläft noch«, sagte Sara, als sie die Tür öffnete. »Du weißt ja ... Jugendliche.«
Ola wusste das nur zu gut. An Samstagen konnte es leicht sechs Stunden dauern, bis alle fünf Kinder startklar waren.
»Hast du schon gefrühstückt?«
Sara nahm seine Jacke und hängte sie an eine farbenfrohe Hakenreihe.
»Eigentlich nicht. Ich vergesse das Essen, wenn ich so müde bin.«
»Komm.«
Er folgte ihr in die Küche. In der Freizeit war sie ein anderer Mensch. Die weiße Krankenhauskleidung machte sie steifer und förmlicher. Ihre Haare, die sich niemals ganz bändigen ließen, waren jetzt so wild, dass er sich fragte, wie sie es schaffte, eine Bürste hindurchzuziehen. Sie trug Jeans und einen leichten grünen Pullover, den er noch nie an ihr gesehen hatte. Ihre nackten Füße steckten in knallrosa Crocs.
Der Duft von Bacon schlug ihm entgegen.
»Schwein?«, murmelte er und setzte sich auf einen Stuhl an dem weißen Tisch.
»Ich esse gern Bacon«, sagte sie. »Das Schwein ist ein Tier, genau wie alle anderen Tiere, die wir essen. Wie gesagt, ich bin nicht gerade eine Bilderbuchjüdin. Und die Küche ist auch nicht koscher, wie du siehst.«
Ola wusste nicht so recht, woran man das sehen könnte, und gab keine Antwort. Er beugte sich über den Teller, den sie vor ihn hinstellte, ehe sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte, und begann zu essen.
Erst jetzt merkte er, wie gewaltig sein Hunger war. Er spachtelte schweigend Eier, Speck und gebratene Tomaten. Ein Radio auf der Fensterbank spielte leise klassische Musik.
»Mmm«, sagte er endlich und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Lecker. Tausend Dank.«
Sara hatte ihren Teller kaum angerührt.
Ohne nachzudenken, zog er eine durchsichtige Brötchentüte aus der Tasche und legte sie vorsichtig neben den Teller. Darin lag der blutige ICD.
Sara schluckte und schob ihren Teller zurück.
»Ups«, sagte Ola und steckte die Tüte wieder in die Tasche. »Verzeihung.«
»Ist schon gut«, sagte sie, aber das klang nicht überzeugend. Sie stand auf und räumte den Tisch ab, ohne etwas zu sagen.
»Und hier ist der Ausdruck«, sagte Ola und faltete das papierene Akkordeon auseinander.
»Du bist dir also ganz sicher«, sagte Sara und setzte sich wieder. »Du bist dir ganz, ganz sicher, dass das der ICD ist, den ich am Dienstag Erik Berntsen eingesetzt habe?«
Er holte Luft und blies seine Wangen auf.
»Okay«, sagte sie rasch. »Du bist dir sicher. Ich habe so viele Fragen, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Aber ich mache einen Versuch. Wenn das hier Eriks ... Erik Berntsens ICD ist, wem gehört dann der, den sie im Rechtsmedizinischen Institut aus seinem Körper genommen haben?«
»Bist du dir sicher, dass ...«
»Ja«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich habe mit dem Pathologen gesprochen. Berntsens ICD wurde ausgelesen, alles war in Ordnung und ...«
Sie verstummte mitten im Satz, sprang auf und nahm Papier und Kugelschreiber aus einer Schublade der Vitrine neben der Tür. Dann setzte sie sich wieder, diesmal neben Ola.
»Der hat nichts Unnormales gezeigt«, sagte sie und zeichnete mitten auf ein Blatt Papier die Skizze eines Männerkörpers.
»Na gut ...«
»Er hatte also einen ICD, hier.«
Ein kleiner Kreis wurde dort eingezeichnet, wo ungefähr das Schlüsselbein des Papiermannes gesessen hätte.
»Das ist einwandfrei nicht der, den
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