Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)
haben, damit Sie diese Figur genesen lassen. Ich
gebe offen zu: Ich beneide Sie um Ihren Erfolg mit diesem Protagonisten.
Klient: Nicht
so bescheiden, Karl! Warum sollte sich Ihr Superheld Vince Stark nicht genauso gut
entwickeln?
Detektiv: Sie
haben völlig recht. Und Sie hatten auch recht mit Ihrer Anregung, die dunklen Seiten
meiner Figuren stärker zu betonen.
Klient: Und?
Haben Sie schon eine Idee, wie Sie das umsetzen wollen?
Detektiv: Die
Geschichte mit Ihrer Tochter geht mir nicht aus dem Kopf, Jacques. Sie erinnern
sich? Ihre lustvolle Bereitschaft, sich Männern hinzugeben, von denen jeder ihr
Vater sein könnte. Diese wilde …
Klient: Gut,
gut, Karl. Die Details hatten wir schon durch. Wie wollen Sie diese Inspiration
verwerten?
Detektiv: Indem
ich Olivia Spirelli mit Earl Grey ins Bett schicke. Sie geht auf seine schmierigen
Avancen ein und lässt sich von ihm vögeln.
Klient: Das
ist absurd. Sie ist jung, schön und sympathisch, er ist alt, unansehnlich, machtgeil
und korrupt.
Detektiv: Genau
aus diesem Grund, Jacques! Denken Sie an Ihre Tochter! Es steigert ihre Lust, sich
einem Mann nicht nur hinzugeben, sondern dabei auch noch Ekel zu empfinden. Mit
einem attraktiven, durchtrainierten, virilen und potenten Endzwanziger wie Vince
Stark ins Bett zu gehen, empfindet sie zwar als durchaus angenehm, aber auch als
allzu selbstverständlich und langweilig. Sie fühlt sich erregt vom Morbiden, von
Earl Greys hemmungsloser, geifernder, geradezu verzweifelter Altersgeilheit, gebremst
nur durch die nachlassende Potenz, den unweigerlichen Tribut ans Altern. Sie forderten
mich doch selbst auf, die dunklen Seiten von Vince Stark herauszuarbeiten. Warum
nicht ebenso die von Olivia Spirelli?
Klient: Ihnen
ist bewusst, dass Sie damit die Genregrenzen komplett sprengen? Bis dato hatte Ihre Story ein klassisches, konservatives und bewährtes
Setting: Tough boy meets beautiful, innocent girl, both coming into trouble and
out again. Sie haben Ihre Hauptdarstellerin unwiderruflich beschmutzt. Das
bringt Ihren kompletten Plot durcheinander, Karl. Die zwei Erzfeinde landen gemeinsam
im Bett? Steigt die Spirelli jetzt gar bei HeinerChem Industries ein?
Detektiv: Ach
was! Die beiden bekämpfen sich nach wie vor bis auf Messers Schneide, wenn sie nicht
gerade ficken! Das macht doch den Charme der Idee aus. Olivia hat die beneidenswerte
Fähigkeit, ihr Weltrettungsengagement von ihren morbiden Leidenschaften innerlich
komplett zu trennen. Während der alte Earl die Illusion hat, er hätte sie jetzt
eingewickelt und unschädlich gemacht, kann sie ihm von hinten umso tiefer den Dolch
in den Rücken jagen.
Klient: Ich
gebe zu, je länger ich drüber nachdenke, umso mehr kann ich mich mit der Idee anfreunden.
Respekt, Karl. Für den einen oder anderen Leser vielleicht etwas verstörend, aber
originell. Sie unterlaufen geschickt die Erwartungen. Sie eröffnen für die Ausgestaltung
der Spirelli-Figur völlig neue Perspektiven. Statt einer etwas drögen und absehbar
positiv besetzten Öko-Aktivistin könnten Sie aus ihr eine gewissenlose, publicity-
und karrieregeile Greenpeace-Funktionärin machen …
Detektiv: …
und so den Ökothriller in einen – viel originelleren – Anti-Ökothriller verwandeln!
Und jetzt kommt der Clou. Als sie sich zum dritten oder vierten Mal vom alten Earl
auf dessen Schreibtisch bügeln lässt, vergisst sie, vorher das Mikrofon auszuschalten,
mit dem Vince Stark die Gespräche der beiden abhört.
Klient: Oh Gott.
Den Rest kann ich mir fast schon denken.
Detektiv: Genau
wie bei Ihrer sechzehnjährigen Tochter und dem Typ mit der Lederjacke! Die Spirelli
schreit beim Sex: ›Nein, nein!‹, und meint: ›Ja, ja!‹, Vince Stark versteht nur:
›Hilfe, Hilfe!‹, stürmt mit voller Kampfausrüstung das Werksgelände der HeinerChem
Industries, um die vermeintlich unschuldige Olivia aus den Klauen des geilen alten
Sackes zu befreien, dessen Leibgarde … Na ja, den Rest können Sie sich denken, Jacques.
Schießereien, explodierende Labore und Chemietanks, Verfolgungsjagden mit Gabelstaplern
– Genrestandards eben. Und ich habe noch mehr vor.
Klient: Erzählen
Sie, ich kann’s kaum erwarten!
Detektiv: Sie
erinnern sich an den korrupten Darmstädter Oberbürgermeister, diesen Gordon Bleu?
Klient: Selbstverständlich!
War doch meine Idee!
Detektiv: Er
hat eine homoerotische Beziehung mit Vince Stark.
Klient:
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