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Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition)

Titel: Kammerspiel: Der fünfte Fall für Rünz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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wahrscheinlich der letzte Besuch seines Patienten gewesen war.
Er wusste, dass er mit O jetzt eine Grenze überschritten hatte, hinter der es für
beide kein Zurück mehr gab. Und er war dankbar dafür, dass er während der letzten
Sitzung kaum reden musste. Nicht weil es ihm schwergefallen wäre, seine Trauer über
den bevorstehenden Abschied zu verbergen. Sondern weil ihm schon während der Sitzung
ganz andere Dinge durch den Kopf gegangen waren. Sehr profane, praktische Fragen.
Er hatte unzählige Varianten für den möglichen Verlauf der folgenden Tage durchgespielt,
Prognosen und Wahrscheinlichkeiten für Os Verhalten aufgestellt, sie sofort wieder
verworfen, versucht, alle Unwägbarkeiten im Geiste durchzuexerzieren, Umleitungen
zu skizzieren, wo der geplante Streckenverlauf seines Planes plötzlich gesperrt
sein konnte. Denn das Fundament seines Vorhabens war das, was man in der Mathematik
als eine Gleichung mit sehr vielen Unbekannten bezeichnete. Die Wahrscheinlichkeit,
dass seine Strategie fehlschlug, war um Größenordnungen höher als die für einen
Erfolg. Aber die Hoffnung starb zuletzt.
    Vorsichtig
machte er sich an den Abstieg, Stufe für Stufe, die Füße mit Bedacht setzend, als
vollführte er eine Yoga-Übung. Jetzt, nach all der akribischen Planung und Vorbereitung
und kurz vor dem Ziel, die Treppe hinunterzustürzen und sich das Genick zu brechen,
wäre zu dämlich gewesen. Er setzte die innere Wiedergabe fort. Da war diese seltsame
Situation gewesen, circa zwanzig Minuten, nachdem sie begonnen hatten. Antolini
war aus seinen Gedanken aufgeschreckt, weil O schon längere Zeit nicht mehr gesprochen
hatte. Wie lange hatte O schon geschwiegen? Hatte Antolini vielleicht eine Frage
seines Patienten überhört, der jetzt geduldig auf Antwort wartete? Eine existenzielle
Frage vielleicht, für deren Beantwortung eine etwas längere Bedenkzeit mehr als
plausibel erschien? Nichts hatte geholfen – außer einer Entschuldigung für seine
Unaufmerksamkeit und einer Nachfrage. O hatte gekränkt reagiert, sein Körper hatte
sich auf der Couch verkrampft. Im Nachhinein verfluchte sich der Analytiker. Er
war durch diese Nachlässigkeit auf dem besten Wege gewesen, die Arbeit von Monaten
zu zerstören. Os Depression und Resignation waren kurz davor gewesen, in Wut umzuschlagen.
Und wütende Menschen wollten vor allem eins – leben. Doch O hatte sich wieder entspannt
und seine Frage wiederholt.
    Antolini
erreichte den zweiten Stock und atmete kurz durch. Er rief sich noch einmal die
Frage und den anschließenden kurzen Dialog in Erinnerung, Wort für Wort.
    »Ich fragte,
ob Sie daran glauben, dass wir uns wiedersehen werden?«
    »Sie meinen
– auf der anderen Seite?«
    »Ja, natürlich.«
    »Wie Sie
wissen, bin ich kein religiöser Mensch, mein lieber O. Ich bin eher den Naturwissenschaften
zugeneigt. Und aus wissenschaftlicher Sicht bestehen wir Menschen aus nichts als
einer unglaublichen Menge ungeheuer komplex arrangierter Informationen. Sie sind
Ingenieur, Sie haben sicher schon mal etwas vom Energieerhaltungssatz gehört. Und
so wie es unmöglich ist, die in einem System enthaltene Energie zu vernichten, so
ist es auch unmöglich, Information einfach so zu zerstören. Das, was Sie und mich
ausmacht, muss also in irgendeiner Form über unseren Tod hinaus weiterexistieren.
Und interagieren.«
    Eine der
beiden Wohnungstüren öffnete sich ein wenig, Antolini schreckte auf. Der Mieter
hatte das Licht in seiner Wohnung ausgemacht, in dem dunklen Spalt war nichts zu
erkennen. Dem Analytiker wurde schlagartig bewusst, dass er seinen kurzen Monolog
nicht nur Silbe für Silbe erinnerte, sondern laut mitgesprochen hatte. Verdammte
Selbstkontrolle. Wenn das so weiterging, würde er morgens irgendwann in Unterhosen
das Haus verlassen. Er ignorierte den Lauscher und setzte seinen Abstieg fort. War
seine Antwort auf Os Frage angemessen gewesen? Mit einer quasi-religiösen Vision
einer Begegnung im Jenseits hätte er sich unglaubwürdig gemacht. Mit einer Leugnung
des Jenseits hätte er O womöglich veranlasst, sein Verweilen im Diesseits noch etwas
auszudehnen. Die etwas verquaste naturwissenschaftliche Argumentationslinie war
ein fauler Kompromiss gewesen, aber O hat ihn allem Anschein nach geschluckt.
     
    Er stand jetzt im ersten Stock und
gönnte seinen geschwollenen Beinen eine kurze Auszeit. Jetzt hing alles davon ab,
ob er rechtzeitig nach Hause in seine improvisierte kleine Kommandozentrale kam.
Er musste Os

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