Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Jene, die zwar das Prinzip der direkten Demokratie unterstützen, aber das Gefühl haben, dass eine Gruppe dabei ist, eine falsche strategische Richtung einzuschlagen, finden es häufig viel effektiver, den Entscheidungsfindungsprozess der Gruppe infrage zu stellen, als die tatsächlich getroffenen Entscheidungen zu kritisieren.
Es gibt in diesem Zusammenhang einen weiteren Faktor, der normalerweise noch weniger Beachtung findet, aber meiner Meinung nach genauso relevant ist. Jeder weiß, dass Regierungen, die sich einer breiten und potenziell revolutionären Koalition gegenübersehen, als Erstes versuchen werden, diese zu spalten. Die gemäßigten Mitglieder werden durch Zugeständnisse besänftigt, während die radikalen Elemente gezielt kriminalisiert werden – das ist quasi das kleine Einmaleins der Regierungskunst. Die US-Regierung verfügt in diesem Zusammenhang allerdings über eine zusätzliche Waffe, die den meisten anderen Regierungen fehlt: Sie ist im Besitz eines globalen Imperiums, das permanent kriegsbereit ist. Diejenigen, die an der Spitze dieses Weltreichs stehen, können praktisch jederzeit beschließen, das Ausmaß der Gewalt im Ausland zu intensivieren. Dies hat sich als bemerkenswert effektive Methode erwiesen, um gesellschaftlichen Bewegungen, die aufgrund von Missständen im Inland entstanden sind, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass auf die Bürgerrechtsbewegung größere politische Zugeständnisse und eine rasche Eskalation des Kriegs in Vietnam folgten; dass auf die Anti-Atomkraft-Bewegung eine Abkehr von der Atomkraft und eine Intensivierung des Kalten Kriegs mit Star-Wars-Programmen und Stellvertreterkriegen in Afghanistan
und Mittelamerika erfolgte; oder dass auf die Bewegung für globale Gerechtigkeit der Zusammenbruch des Konsenses von Washington (»Washington Consensus«) und der »globale Krieg gegen den Terror« folgten. Als Konsequenz hieraus befasste sich die Studentenorganisation Students for a Democratic Society (SDS), die anfänglich großen Wert auf partizipative Demokratie gelegt hatte, später nur noch mit der Organisation von Antikriegsprotesten; die Anti-Atomkraft-Bewegung entwickelte sich gezwungenermaßen zu einer nuklearen Abrüstungsbewegung, und die horizontalen Strukturen des Direct Action Network (DAN) und des globalisierungskritischen Netzwerks People’s Global Action (PGA) wichen hierarchisch strukturierten Massenorganisationen wie ANSWER (Act Now to Stop War and End Racism) und UFPJ (United for Peace and Justice). Zugegebenermaßen ist die militärische Lösung aus Sicht der Regierung nicht ungefährlich. Das Ganze kann durchaus auch nach hinten losgehen, wie es zum Beispiel in Vietnam der Fall war. (Daher ist man auch, zumindest seit dem Ersten Golfkrieg, so versessen darauf, einen Krieg zu ersinnen, an dem Proteste einfach abprallen). Es besteht des Weiteren stets ein geringes Risiko, dass durch irgendeine Fehleinschätzung versehentlich ein nukleares Armageddon ausgelöst wird, das den gesamten Planeten zerstört. Doch diese Risiken nehmen Politiker angesichts von inneren Unruhen offenbar gern in Kauf – wenn auch nur deshalb, weil ihnen direktdemokratische Bewegungen, anders als Antikriegsbewegungen, eine Heidenangst einjagen. Letztere sind vielmehr ihr bevorzugter Gegner. Im Grunde genommen handelt es sich bei Staaten ja um Formen der Gewalt. Daher ist ihnen viel daran gelegen, dass sich der Fokus der Proteste ändert, denn wenn sich die Diskussion erst einmal um Gewalt dreht, befinden sie sich wieder auf vertrautem Boden; dies ist
schließlich ihr Lieblingsthema. Organisationen, die darauf ausgelegt sind, entweder Kriege zu führen oder Kriege zu bekämpfen, sind außerdem tendenziell hierarchischer strukturiert als Organisationen, die sich egal welchem anderen Thema widmen. Ein solcher Wandel der Strukturen lässt sich innerhalb der Anti-Atomkraft-Bewegung deutlich belegen. Auch wenn sich an der Antikriegsmobilisierung der 1980er Jahre viel mehr Menschen beteiligten als je an der Clamshell oder der Abalone Alliance, stellten diese Proteste gleichzeitig eine Rückkehr zu den Zeiten dar, als man noch in Reih und Glied marschierte und Schilder emporhob, als Kundgebungen genehmigt sein mussten und man Experimente mit neuen Taktiken und neuen Formen der direkten Demokratie lieber sein ließ.
II. Die Bewegung für globale Gerechtigkeit
Ich gehe davon aus, dass unsere geneigten Leser mit den Aktionen in Seattle, den
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