Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
ein Jahrzehnt dauern würde, bis wir sie erreicht hätten.
Wie sich herausstellte, dauerte es ungefähr anderthalb Jahre.
Zwar ist es uns offensichtlich nicht gelungen, eine gesellschaftliche Revolution zu entfachen. Doch ein Grund dafür, dass es uns nicht gelungen ist, Hunderttausende von Menschen auf der ganzen Welt dazu zu bewegen, sich zu erheben, war wieder einmal, dass wir so viele unserer Ziele so schnell erreicht hatten. Nehmen wir zum Beispiel das Thema organisatorische Strukturen. Während die Bündnisse der Kriegsgegner noch immer, wie es für Antikriegsbündnisse typisch ist, als hierarchische Volksfrontbündnisse operieren, funktioniert mittlerweile nahezu jede radikale Kleingruppe, die nicht von irgendwelchen marxistischen Sektierern dominiert wird, überwiegend auf der Grundlage von anarchistischen Prinzipien. Dies trifft auf Gruppierungen aller Art zu, von syrischen Einwandererorganisationen in Montreal bis hin zu Gemeinschaftsgärten in Detroit. Vielleicht sind sie sich dessen nicht bewusst, doch der Kontaminationismus hat funktioniert. Auch auf theoretischer Ebene lassen sich Beispiele hierfür finden. Der Konsens von Washington liegt in Scherben, und zwar in einem solchen Maße, dass man sich mittlerweile kaum
noch vorstellen kann, wie der öffentliche Diskurs in Amerika vor Seattle überhaupt ausgesehen hat. Ich für meinen Teil kann mich allerdings noch gut daran erinnern. Nehmen wir zum Beispiel das Thema »Freihandel«, das augenscheinlich im Fokus der Proteste stand. (»Freihandel« ist ganz offensichtlich ein Propagandabegriff, aber es ist vielsagend, dass dies der einzige zur Verfügung stehende Ausdruck war, wenn man über neoliberale Globalisierung sprechen wollte.) Ich glaube nicht, dass sich die Mainstream-Medien und die politischen Klassen jemals über irgendein Thema so vollkommen einig waren. Es galt als selbstverständlich, dass »Freihandel«, »freie Märkte« und ein entfesselter Turbokapitalismus die einzig mögliche Richtung waren, in die sich die Menschheitsgeschichte entwickeln konnte, und gleichzeitig die einzig richtige Lösung für jegliches Problem darstellten. Man wurde buchstäblich als geisteskrank abgestempelt, wenn man diese Behauptung in Zweifel zog. Als dann auch CNN und Newsweek die Aktivisten der Bewegung für globale Gerechtigkeit nicht länger ignorieren konnten, wurden diese umgehend als rückständige Reaktionäre hingestellt, die noch daran glaubten, dass die Erde eine Scheibe ist, und deren ablehnende Haltung gegenüber dem Freihandel nur mit einer naiven Unkenntnis selbst der grundlegendsten Prinzipien der Ökonomie erklärt werden konnte. Ein Jahr später gaben sie dann im Prinzip zu: »Na gut, vielleicht haben die Kids ja doch recht gehabt.«
Wenn ich dieses Argument bei einer anarchistischen Versammlung vorbringe, bekomme ich üblicherweise sofort folgenden Einwand zu hören: »Ja, natürlich hat sich die Rhetorik gewandelt, aber der politische Kurs ist immer noch derselbe.«
Vermutlich stimmt dies in gewisser Weise auch. Und natürlich haben wir den Kapitalismus nicht zerstört. Doch wir
(wobei das »wir« hier für den horizontalistischen, direkte Aktionsformen bevorzugenden Flügel der weltweiten Bewegung gegen den Neoliberalismus steht) haben ihm innerhalb von nur zwei Jahren zweifelsohne einen größeren Schlag versetzt als sonst irgendjemand seit, sagen wir, der Russischen Revolution.
Lassen Sie mich dies Punkt für Punkt erläutern.
Freihandelsabkommen
Sämtliche der seit 1998 geplanten, ehrgeizigen Freihandelsabkommen sind gescheitert, das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) wurde erfolgreich bekämpft, die FTAA-Verhandlungen, der Fokus der Aktionen in Québec und Miami, wurden zum Stillstand gebracht. Den meisten von uns ist die FTAA-Ministerkonferenz im Jahr 2003 vor allem noch deshalb in Erinnerung, weil hier zum ersten Mal das so genannte »Miami-Modell« zum Einsatz kam, das darin besteht, mit massiver Polizeirepression selbst gegen offensichtlich gewaltlosen zivilen Widerstand vorzugehen. Und genau dies geschah auch. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass dies vor allem das wütende Nachtreten eines Haufens tödlich beleidigter Verlierer war – denn auf der Konferenz in Miami wurde der FTAA-Vertrag endgültig zu Grabe getragen. Inzwischen wird über breit angelegte, ehrgeizige Abkommen dieser Größenordnung nicht einmal mehr gesprochen. Den USA bleibt nichts anderes übrig, als unbedeutende Handelsabkommen mit
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