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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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IWF-Weltbank-Blockaden sechs Monate später in Washington während der A16-Proteste und so weiter in etwa vertraut sind.
    Zumindest in den USA ist die Bewegung derart schnell und dramatisch angewachsen, dass selbst die Medien diese Entwicklung nicht völlig außer Acht lassen konnten. Aber sie begann auch rasch damit, sich selbst aufzufressen. In fast jeder größeren amerikanischen Stadt wurden Direct Action Networks gegründet. Manche dieser Netzwerke (insbesondere die DAN in Seattle und Los Angeles) waren reformistisch, »konzernfeindlich« und traten für einen Kodex der Gewaltlosigkeit ein; die meisten jedoch (wie die DAN in New York oder Chicago) waren mit überwältigender Mehrheit anarchistisch und antikapitalistisch und fühlten sich dem Prinzip der »Vielfalt der Taktiken« verpflichtet. In anderen Städten (Montreal,
Washington, D.C.) entstanden mit den so genannten Anticapitalist Convergences (ACC) Gruppen, die sogar noch expliziter anarchistisch ausgerichtet waren. Diese Gruppierungen ereilten jeweils sehr unterschiedliche Schicksale. Als Erstes lösten sich die konzernkritischen DAN auf. Die antikapitalistischen Netzwerke wiederum hielten etwas länger durch, doch selbst von ihnen waren vier Jahre später nur noch die wenigsten übrig. Alle hatten sich von Anfang an in erbitterten Debatten aufgerieben: über Gewaltlosigkeit, über das Gipfel-Hopping, über Rassismus und Fragen der Privilegiertheit, 3 über die Funktionsfähigkeit des Netzwerkmodells. Dann ereignete sich der 11. September. Direkt im Anschluss daran nahmen der Grad der Repression und die daraus resultierende Paranoia stark zu, und nahezu alle unsere früheren Verbündeten aus den Gewerkschaften und NGOs machten sich panisch aus dem Staub. Die Debatten kamen zu diesem Zeitpunkt fast völlig zum Erliegen. Bei den Protesten gegen die Gesamtamerikanische Freihandelszone FTAA in Miami im Jahr 2003 schien es schließlich, als wären wir vernichtend geschlagen, und trotz der periodisch wiederaufflammenden Begeisterung (Gleneagles, Minneapolis, Heiligendamm) hat sich die Bewegung nie wieder richtig erholt.
    Auch diese Geschichte wirkt nicht sehr ermutigend. Hinzu kommt der zusätzliche Faktor 9/11. Der 11. September war ein derart bizarres Ereignis, eine derartige Katastrophe, aber auch historisch derart unwahrscheinlich, dass es uns nahezu blind dafür machte, was sich darum herum alles abspielte. So brachen unmittelbar nach den Anschlägen fast sämtliche der im Rahmen der Globalisierungsbewegung entstandenen Strukturen zusammen. Zum einen schienen damals natürlich der Krieg und die Mobilisierung einer Antikriegsbewegung plötzlich viel drängendere Anliegen zu sein. Ein weiterer Grund, warum diese Strukturen so leicht zusammenbrechen konnten, war jedoch, dass wir, was die Mehrzahl unserer unmittelbaren Ziele anging, einmal mehr völlig unerwartet gesiegt hatten.
    Ich selbst hatte mich dem New Yorker DAN genau um die Zeit der A16-Proteste angeschlossen. In jener Phase sah sich das DAN in seiner Gesamtheit als Gruppe mit zwei Hauptzielen. Zum einen wollte man den nordamerikanischen Flügel einer riesigen weltweiten Bewegung gegen den Neoliberalismus und gegen den damals so genannten Konsens von Washington mitkoordinieren, um dadurch die Vormachtstellung neoliberaler Konzepte zu erschüttern, sämtliche neue und wichtige Handelsabkommen zu verhindern (WTO, FTAA) und Organisationen wie den IWF zu diskreditieren und letztlich zu zerstören. Zum anderen wollte man ein (anarchistisch inspiriertes) Modell der direkten Demokratie bekannter machen: Dieses beruhte auf dezentralen Bezugsgruppen-Strukturen und Konsensfindungsprozessen und sollte an die Stelle von altmodischen aktivistischen Organisationsstilen mit ihren Lenkungsausschüssen und ihrem kleinlichen ideologischen Gezanke treten. Hin und wieder bezeichneten wir das Modell damals auch als »Kontaminationismus«, denn die Idee dahinter
war, dass man Leute einfach der Erfahrung der direkten Aktion und der direkten Demokratie aussetzen müsste, dann würden sie dieses Konzept ganz von selbst nachahmen wollen. Wir waren uns außerdem einig, dass es nicht darum ging, eine dauerhafte Struktur aufzubauen; das DAN war lediglich Mittel zum Zweck. Sobald es seinen Zweck erfüllt hätte, so erklärten mir mehrere Gründungsmitglieder, würde es nicht mehr gebraucht werden. Andererseits waren die Ziele, die wir anstrebten, durchaus ehrgeizig, also gingen wir davon aus, dass es, wenn überhaupt, mindestes

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