Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Kapital für am wichtigsten. Laut Bifo hatten wir uns von einem Zeitalter der Vereinigung in ein Zeitalter der Verbindung bewegt. Negri hingegen vertrat die Ansicht, die neue Phase der Kontemporaneität habe den Postmodernismus verdrängt. Alle Redner erklärten zunächst pflichtbewusst, wie sich ihrer Meinung nach der Eintritt in ein neues Zeitalter vollzogen habe; anschließend beschrieben sie etliche Eigenschaften dieses neuen Zeitalters und die sich aus dem Übergang ergebenden Konsequenzen. Zuletzt versuchten sie zu einer Einschätzung zu gelangen, welches Potenzial für radikale politische Transformationen dem jeweiligen Zeitalter innewohne.
Es ist klar ersichtlich, warum gerade die Kunstwelt an Derartigem Gefallen findet. Walter Benjamin sagte einmal, die
Mode sei die ewige Wiederkehr des Neuen. Genauso ist inzwischen auch die Kunst zu einer Welt geworden, in der immer alles neu ist, sich jedoch nie etwas ändert. In der Welt der Mode kann man natürlich einfach dadurch, dass man mit formalen Eigenschaften wie Farben, Mustern, Stilen und Rocklängen herumexperimentiert, den Eindruck des Noch-nie-Dagewesenen erwecken. Den bildenden Künstlern hingegen ist ein solcher Luxus nicht vergönnt. Sie haben ihre Welt immer schon als eng mit einer umfassenderen Sphäre der Kultur und Politik verflochten betrachtet. Dies ist auch der Grund dafür, warum sie fortlaufend den Eindruck heraufbeschwören müssen, wir befänden uns in einem völlig neuen historischen Augenblick, auch wenn Kunsttheoretiker immer weniger Greifbares vorfinden, auf das sie sich zu diesem Zweck berufen können.
Daneben gibt es meiner Ansicht nach jedoch noch einen weiteren Grund, weshalb sich revolutionäre Denker für ein solches Unterfangen besonders gut eignen. Dieser Grund wird nachvollziehbar, wenn man einmal genauer betrachtet, welche Geschichtsauffassung ihrer Herangehensweise jeweils zugrunde lag. Hier gab es einen tiefgreifenden Widerspruch. So wurde uns in jedem Vortrag eine Abfolge historischer Phasen vorgestellt: von Disziplinargesellschaften zu Sicherheitsgesellschaften, von Vereinigung hin zu Verbindung und so weiter. Es ging also nicht um aufeinanderfolgende konzeptionelle Brüche. Oder wenigstens schien es niemand für unmöglich zu halten, dass eine bestimmte Phase aus der Perspektive einer anderen Phase heraus verstanden werden kann. Anders als zu erwarten gewesen wäre, schlossen sich dann aber alle betreffenden Redner der Theorie an, dass die Geschichte in jedem Fall als Abfolge vollständiger konzeptioneller Brüche verstanden werden sollte. Diese Brüche wurden dabei als derart absolut
aufgefasst, dass man sich kaum vorstellen kann, wie dies überhaupt möglich sein sollte. Teilweise ist dies ein Vermächtnis des Marxismus, der noch immer tendenziell darauf beharrt, dass der Kapitalismus eine allumfassende Totalität bilde und somit unsere fundamentalsten Ansichten über das Wesen der Gesellschaft, über Moral, Politik, Werte und so weiter entscheidend präge. Deshalb könnten wir uns schlicht nicht vorstellen, wie eine zukünftige Gesellschaft beschaffen sein würde. (Merkwürdigerweise scheint allerdings kein Marxist zu glauben, dass es sich aus demselben Grund als problematisch erweisen könne, die Vergangenheit verstehen zu wollen.) In gleichem Maße ist eine solche Haltung jedoch auch als Vermächtnis von Michel Foucault zu sehen, 22 der die Vorstellung, dass die Geschichte aus einer Abfolge allumfassender historischer Abschnitte bestehe, mit seinem Konzept der Episteme zusätzlich radikalisierte. Dieses Konzept beruht auf der Idee, dass sich im Übergang von einem geschichtlichen Zeitraum zum nächsten die Wissensformation selbst völlig verändert. Auch in diesem Fall bildet jede geschichtliche Periode ein derart totales System, dass man sich unmöglich vorstellen kann, wie eine Epoche allmählich in eine andere Epoche übergehen soll. Stattdessen haben wir es mit einer Abfolge von konzeptionellen Revolutionen, von totalen Brüchen beziehungsweise Einschnitten zu tun.
Sämtliche auf der Konferenz vortragenden Redner bezogen sich auf die eine oder andere Weise sowohl auf die
Marx’sche als auch auf die Foucault’sche Tradition. Etliche der Begriffe, die sie verwendeten, um die verschiedenen historischen Phasen zu bezeichnen (»reelle Subsumtion«, »Disziplinargesellschaften« …), wurden sogar explizit bei diesen entlehnt. Somit stehen alle Vortragenden vor demselben konzeptionellen Problem: Wie konnte eine
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