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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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geprägt von der Massenherstellung materieller Gegenstände; die Produzenten selbst blieben dabei jedoch unsichtbar und anonym  – über sie war nichts bekannt. Bei der Kunst hingegen ging es um die Herstellung einzigartiger materieller Gegenstände, deren Wert sich direkt der ebenfalls einzigartigen Genialität ihres jeweiligen Produzenten verdankte – über den man alles wusste. Hinzu kommt, dass die Herstellung von Waren zu jener Zeit als rein wirtschaftliche Tätigkeit angesehen wurde. Man stellte beispielsweise Fischfrikadellen oder Aluminiumverkleidungen her, um Geld zu verdienen. Die Produktion von Kunst hingegen wurde nicht in erster Linie als wirtschaftliche Tätigkeit gesehen. Schon immer galt die Liebe zur Kunst, wie auch das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis oder spiritueller Gnade oder auch die Liebe zur Familie als Ausdruck einer grundlegend anderen, höheren Wertform. Echte Künstler produzieren nicht einfach deshalb Kunst, um Geld zu verdienen. Doch anders als Astronomen, Priester oder Hausfrauen müssen sie ihre Produkte auf dem Markt verkaufen, um überleben zu können. Überdies hängt der Marktwert ihrer Werke davon ab, dass man ihnen abnimmt, dass sie gerade nicht mit Blick auf den Marktwert geschaffen wurden, sondern im Streben nach etwas gänzlich anderem. Darüber, was dieses gewisse Etwas ist, wird natürlich endlos gestritten: Schönheit, Inspiration, Virtuosität, ästhetische Form. (Ich selbst möchte behaupten,
dass zumindest in unserer heutigen Zeit nicht mehr die Rede davon sein kann, dass es bei der Kunst ausschließlich um einen dieser Aspekte geht. Die Kunst ist vielmehr eine Art Spielwiese geworden, um mit der Idee des Werts an sich herumzuexperimentieren.) Praktisch alle sind sich jedoch darüber einig, dass das Werk eines Künstlers weniger wert wäre, wenn es Grund zu der Annahme gäbe, er sei lediglich am Geld interessiert.
    Auf dieses Dilemma stößt vermutlich jeder, der versucht, sich dem Markt zum Trotz eine Art Raum der Autonomie zu bewahren. Wer sich mit alternativen Wertformen beschäftigt, kann sich darum bemühen, sich vor den Auswirkungen des Markts zu schützen. Er kann versuchen, eine Art Kompromiss zu erzielen, oder sogar eine Symbiose eingehen. Oder er kann letztlich in eine Situation geraten, in der jede Seite von sich glaubt, sie würde die Gegenseite übers Ohr hauen.
    All dies soll jedoch nicht heißen, dass jene Räume deshalb weniger real seien, was ich in diesem Kontext nochmals ausdrücklich betonen will. Da das Kapital und die damit einhergehenden Wertformen so offensichtlich tonangebend sind, neigen wir dazu zu glauben, dass alles, was auf der Welt geschieht, automatisch dessen Züge annimmt. Wir nehmen an, der Kapitalismus bilde ein totales System, und jede sichtbare Alternative spiele somit nur insofern eine Rolle, als sie dabei mitwirke, jenes System zu reproduzieren. Meiner Ansicht nach weist diese Logik jedoch erhebliche Schwachstellen auf – und hat zudem in politischer Hinsicht verheerende Folgen. Schon seit mindestens zweihundert Jahren bilden Künstler und ihre Anhänger Enklaven, in denen es möglich ist, mit Formen der Arbeit, des Tauschens und der Produktion zu experimentieren. Diese unterscheiden sich zumeist radikal von denen, die das Kapital propagiert. Auch wenn Künstlerzirkel nicht immer bewusst
revolutionär sind, so neigen sie doch beharrlich dazu, mit revolutionären Zirkeln zu überlappen. Vermutlich genau aus diesem Grund: Denn auch revolutionäre Zirkel stellen Freiräume dar, in denen mit radikal unterschiedlichen, weniger entfremdeten Lebensformen experimentiert werden kann. Auch wenn solche Räume de facto durch Geld des Finanzkapitals ermöglicht werden, das allmählich nach unten sickert, kann man nicht davon sprechen, dass sie daher »letztlich« ein Produkt des Kapitalismus seien. Genauso wenig werden die Autos, die eine privatwirtschaftliche Fabrik herstellt, »letztlich« zu sozialistischen Erzeugnissen, nur weil die Fabrik Leistungen der öffentlichen Versorgungsbetriebe sowie der staatlichen Post in Anspruch nimmt, sie darauf angewiesen ist, dass die Polizei ihr Eigentum schützt, und sie Gerichte einschaltet, um ihre Verträge durchzusetzen. Es gibt in Wirklichkeit keine totalen Systeme. Sie existieren lediglich als Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen. Und nur weil das Kapital in unserer heutigen Zeit tonangebend ist, heißt das nicht, dass das immer so sein wird.

Über Prophezeiungen und

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