Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
Erkenntnis zu gelangen. In diesem Sinne mussten die Redner während des eingangs erwähnten Symposiums unversehens nicht nur in die Rolle des Propheten schlüpfen, sondern vielleicht sogar in die des Schamanen, eines »Technikers des Heiligen«, der in der Lage ist, sich zwischen verschiedenen kosmischen Dimensionen hin- und herzubewegen. Damit waren sie natürlich, wie jeder Zauberer, einerseits in gewisser Weise Künstler mit durchaus anzuerkennender Begabung, gleichzeitig aber auch eine Art Schwindler oder Betrüger.
Daher überrascht es auch nicht, dass die meisten von ihnen – als die ehrlichen Revolutionäre, die sie ja nun mal sind – etwas verblüfft darüber schienen, wie sie eigentlich dort gelandet waren.
Eine abschließende Bemerkung
Vielleicht mag all dies als übertrieben harsche Kritik erscheinen. Immerhin habe ich die Theorie der immateriellen Arbeit vernichtend kritisiert, und ich habe Postoperaisten (oder zumindest den auf der Tagung anwesenden Vertretern einer bestimmten Spielart des Postoperaismus, vielleicht könnte man sie die Negri’sche Spielart nennen 23 ) vorgeworfen, sich schillernder, aber oberflächlicher postmoderner Argumente zu bedienen, um dadurch eine plumpe, antiquierte Version des Marxismus zu kaschieren. Außerdem habe ich angedeutet, dass sie ein im Grunde theologisches Manöver vollführen, das sicherlich von Interesse ist, wenn man auf Spielereien rund um künstlerische Moden steht. An sinnvollen Werkzeugen für eine gesellschaftliche Analyse der Kunstwelt oder sonstiger Bereiche wird einem dadurch jedoch praktisch nichts an die Hand gegeben. All dies ist sicher richtig. Dennoch möchte ich auf keinen Fall bei den Lesern den Eindruck hinterlassen, dass hier überhaupt nichts von Wert zu finden sei.
Zunächst bin ich wirklich davon überzeugt, dass solche Theoretiker eine wichtige Funktion erfüllen, indem sie uns dabei helfen, den historischen Augenblick in Begriffe zu fassen. Damit meine ich nicht nur, dass sie im prophetisch-politisch-magischen Sinne Beschreibungen anbieten, die darauf abzielen, neue Realitäten hervorzubringen. Ich halte die Idee, dass eine revolutionäre Zukunft bereits präsent ist, oder die Vorstellung, dass wir bereits im Kommunismus leben, auf ihre Weise für recht schlüssig. Das Problem hierbei ist, dass diese
Denker, da sie ja Propheten sind, ihre Thesen stets mittels apokalyptischer Begrifflichkeiten formulieren. Doch wäre es nicht besser, stattdessen eine Neubewertung der Vergangenheit im Licht der Gegenwart vorzunehmen, wie ich an früherer Stelle vorgeschlagen habe? Vielleicht haben wir immer schon im Kommunismus gelebt und sind lediglich darauf konditioniert worden, dies nicht zu sehen. Vielleicht sind alltägliche Formen des Kommunismus wirklich die Grundlage für die meisten relevanten menschlichen Leistungen, selbst für solche, die normalerweise dem Kapitalismus zugeschrieben werden. Darauf hatte bereits Kropotkin in seinem Buch Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt hingewiesen, auch wenn nicht einmal er gewillt war, die vollständige Tragweite seiner Aussagen zu erkennen. Wenn wir uns aus den Fesseln des Zeitgeschmacks befreien könnten, wären wir möglicherweise in der Lage, die Geschichte als ein Feld der ständigen Möglichkeit zu begreifen. Gleiches gilt für das Bedürfnis, ständig betonen zu müssen, dass alles, was zurzeit geschieht, zwangsläufig einzigartig und noch nie dagewesen sei (und damit aber auch in gewisser Weise gleichbleibend, da ja in einer solchen Sichtweise stets alles neu erscheinen muss.) Innerhalb dieses Feldes der Möglichkeiten gibt es keinen besonderen Grund, warum wir nicht zumindest versuchen sollten, Schritt für Schritt eine erlösende Zukunft zu schaffen. Wir könnten jederzeit damit anfangen. Schon seit jeher versuchen Künstler dies im kleinen Rahmen – manche von ihnen sogar als Teil einer echten sozialen Bewegung. Und warum sollte das, wenn wir Theorien entwickeln und niederschreiben, anders sein?
Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus
Am Samstag, dem 16. Oktober 2010, trafen sich etwa fünfhundert Aktivisten an verschiedenen Treffpunkten in ganz London. Alles, was sie wussten, war, dass sie an einer direkten Aktion mit dem Namen »Crude Awakening« 24 teilnehmen würden, die sich gegen die Zerstörung der Umwelt durch die Ölindustrie richtete. Darüber hinaus hatten sie keine klare Vorstellung davon, wie die Aktion im Einzelnen ablaufen würde. Der Plan der Organisatoren war
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