Kampf der Gefuehle
er ihr etwas beibrachte, nicht damit er beurteilte, wie fit sie war. Gleichwohl hatte er nicht ganz unrecht, auch wenn sie das nur ungern zugab.
Das Zittern in ihren Fingern unterdrückend, bückte sie sich, um das Florett aufzuheben. Dann richtete sie sich wieder zu voller Größe auf. »Danke für die Lekti-on«, sagte sie mit gepresster Stimme, den Blick aut die Klinge gerichtet, die sie in der Hand hielt. »Ich werde mir eine solche Schwäche nicht mehr zuschulden kommen lassen.«
Er schwieg einen ausgedehnten Moment lang. Sie vermeinte, den forschenden Blick zu spüren, mit dem er ihr halb abgewandtes Gesicht betrachtete — einen Blick, der für ihren Geschmack viel zu durchdringend und intelligent war. Einen Augenblick befürchtete sie, er könne ihr auf die Schliche kommen und alles, was es über sie zu wissen gab, herausfinden. Mit Wut gemischte Panik stieg in ihr auf, die sie zu ersticken drohte.
»Wenn Ihnen das gelingt«, sagte er schließlich mit leicht amüsierter Stimme, »werden Sie besser sein als die meisten anderen.«
Ihre Erleichterung war so groß, dass sie sie fast überwältigte. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Er war wohl doch nicht ganz so scharfsinnig, wie sie angenommen hatte, konnte es in Anbetracht seiner Lebensgeschichte gar nicht sein. Wenn er es gewesen wäre, wäre sie nicht hier. »Sie können sich darauf verlassen.«
Nachdem er kurz genickt hatte, um seiner Zufriedenheit Ausdruck zu geben, fuhr er fort: »Ich sollte Ihnen vielleicht noch mitteilen, dass Sie auf der Fechtbahn gewisse Vorteile auf Ihrer Seite haben, weil Sie eine Frau sind.«
»Das überrascht mich.«
»Gestatten Sie mir, sie aufzuzählen«, setzte er seine Ausführungen fort, indem er eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hochzog, möglicherweise als Reaktion auf ihren ironischen Ton. »Weil Ihre unteren Gliedmaßen verglichen mit den längeren Beinen von Männern in einem proportionierterem Verhältnis zu Ihrem Rumpf stehen, werden Sie sich auf der Fechtbahn mit größerer Sicherheit hin und her bewegen, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie stolpern oder gegen Ihren Willen zurückgedrängt werden, geringer ist. Allgemein gesprochen sind Frauen geschickter in ihren Bewegungen. Außerdem neigen sie nicht dazu, mit theatralischen Bewegungen, die keinen Zweck haben, Energie zu verschwenden. Einige Fechtmeister meinen, dass Frauen besser imstande sind, während eines Kampfs ihre Aufmerksamkeit zu teilen, das heißt, sich auf das zu konzentrieren, was ihr Gegner macht, während sie gleichzeitig ihren nächsten Schritt planen.«
Es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, welches Sakrileg es war, von ihren unteren Gliedmaßen zu sprechen. Dieser Umstand gestattete es ihr, die Hitze, die ihr ins Gesicht gestiegen war, zu ignorieren. »Und worin bestehen die Nachteile? Auf die werden Sie mich doch gewiss ebenfalls hinweisen, oder? «
»In einer kürzeren Reichweite, wenn man einen Ausfall macht, einfach deswegen, weil die Arme der meisten Frauen im Verhältnis zu ihrem Körper nicht so lang sind wie die von Männern. Hinzu kommt noch ein angeborenes Widerstreben anzugreifen, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergibt, und eine Schwäche des Gegners auszunutzen.« Er lächelte schief. »Letzteres sind natürlich zwei Züge, die bei zukünftigen Gattinnen und Müttern höchst begrüßenswert sind. Sie werden sich von allem, was Sie in dieser Hinsicht gelernt haben mögen, losmachen müssen.«
»Ich werde mir Mühe geben. Gibt es sonst noch etwas?«
Er neigte bejahend den Kopf, während er sich zur Seite drehte, um das andere Florett aus dem Kasten zu nehmen. »Sehen Sie sich bitte Ihre Waffe an.«
»Ja?« Sie hielt die Waffe so, wie er sie hielt, indem sie den Griff mit der rechten Hand packte und die Spitze auf den Fingern ihrer Linken balancierte.
»Das ist ein Florett, die Übungswaffe beim Fechten. Es ist leichter als ein epee und wesentlich biegsamer als ein Degen. Es wird zur Verlängerung Ihres Arms, zu einem weiteren Finger an Ihrer Hand werden.«
Dann erläuterte er ihr in aller Ausführlichkeit die unterschiedlichen Teile des Floretts — Heft und Knauf, Schutzglocke, Klinge und stumpfes Ende - und erklärte ihr, wie man eine Waffe pflegte und säuberte. Anschließend zeigte er ihr genau, wie sie das Florett zu halten hatte. Überdies erfuhr sie, was es mit dem gepolsterten Brustschutz auf sich hatte, der lebenswichtige Organe schützte, sowie mit der Fechtmaske, die verhinderte, dass
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