Kampf um Strom: Mythen, Macht und Monopole (German Edition)
indem sie den Klimawandel leugnen und die Überbringer der Botschaft verunglimpfen. Meadows’ besorgte und auch etwas resignierte Rückschau bestätigte, was ich gerade mit eigenen Augen beobachte: Längst schien die Energiewende auf einem guten Weg, da wird auf einmal so massiv gegen das Projekt Propaganda gemacht, dass die Stimmung in der Bevölkerung zum ersten Mal zu kippen droht. Inzwischen machen sich Unsicherheit und Zukunftsangst breit. Kurioserweise scheint der Ökostrom-Umbau den Menschen neuerdings größere Sorge zu bereiten als die Bedrohungen durch Klimawandel und Umweltschäden (etwa durch Reaktorkatastrophen wie in Fukushima) oder der weltweite Zusammenbruch des Wirtschafts- und Finanzsystems.
Die Zukunft ist ungewiss, und diese Ungewissheit öffnet der Spekulation Tür und Tor. Dazu gehören auch die vielen Zahlen, die uns präsentiert werden, um die Zukunft zu beschreiben: Die einen rechnen den wirtschaftlichen Untergang Deutschlands herbei, die anderen versuchen verzweifelt, dagegenzuhalten. Anstelle sachlicher Diskussionen, in denen gute Argumente zählen, erleben wir zunehmend medial inszenierte Auseinandersetzungen von Experten, die einander mit einer Flut von Studien attackieren und dabei oft mehr zur Verdunkelung als zur Klärung beitragen. Das ist von manchen durchaus gewollt: Der Zuschauer soll nicht verstehen, er soll glauben. Die Agentur für Erneuerbare Energien nahm sich vor kurzem selbst der Zahlenproblematik an: Am 14. August 2012 veröffentlichte sie einen Bericht, in dem Studien der vergangenen drei Jahre verglichen wurden. Die Berechnungen dieser Studien treffen – beruhend auf Annahmen für das Jahr 2030 – Voraussagen über die Preisentwicklung bei fossilen Energien. Ihre Ergebnisse weichen bis zu 150 Prozent voneinander ab. Wo Annahmen dermaßen weit auseinanderliegen, führen sie zwangsläufig zu extrem unterschiedlichen Ergebnissen.
Zahlen allein enthalten keine sinnvoll zu bewertenden Informationen. Solange wir nicht wissen, mit welchen Faktoren gerechnet wurde, und solange wir nicht einschätzen können, wie realistisch solche Faktoren sind, nutzen uns die Ergebnisse nichts. Der Studienvergleich der Agentur für Erneuerbare Energien führt uns dies vor Augen: Einige der untersuchten Gutachten gingen in ihren Berechnungen für die nächsten zehn Jahre von einem Importpreis für Rohöl aus, der schon im Jahr 2011 deutlich übertroffen wurde. Sie prognostizierten, dass es beim Ölpreis eher zu Stagnationen oder sogar Senkungen kommen wird, und kamen so zu einem für die fossilen Brennstoffe günstigen Ergebnis. Und das, obwohl die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte bewiesen haben, wie unrealistisch ein solches Szenario ist. Niemand glaubt ernsthaft, dass der Ölpreis in den nächsten Jahren dauerhaft fallen wird. Solange uns solche Studien jedoch immer nur die Ergebnisse der Rechnung präsentieren, sind wir geneigt, ihnen zu vertrauen. Da heißt es dann: Man hat errechnet, dass die fossilen Brennstoffe in den nächsten 30 Jahren vergleichsweise billig sein werden, während der Preis für Ökostrom immer weiter steigen wird. – Und irgendwann glauben wir dann diese Argumente.
Gleiches gilt ebenso für die Gegenseite: Auch die Lobby der erneuerbaren Energien rechnet mit Annahmen, die für ihre Ziele günstig sind. Beide Seiten sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert zu beurteilen, wie realistisch eine Prognose die Zukunft beschreiben kann. Aus dem Dilemma, dass alle Rechnungen mit Annahmen verbunden sind, die etwas über die Haltung des Rechnenden aussagen, komme auch ich als Wissenschaftlerin und Autorin nicht heraus. Mich hat meine langjährige Analyse der Fakten – aus der Vergangenheit wie auch der Prognosen – zu der Schlussfolgerung geführt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auf Dauer sowieso erforderlich sein wird und ein möglichst zügiger Ausbau wünschenswert ist, um uns unabhängig von Energieimporten zu machen und die schlimmsten Gefahren des Klimawandels zu vermeiden. Daher bin ich jetzt nicht mehr neutralund unternehme mit diesem Buch den schwierigen und vielleicht sogar fragwürdigen Versuch, eine Auseinandersetzung zu beschreiben, zu deren Protagonisten ich selbst gehöre. Angesichts dieser Situation scheint es geboten, meine Absichten besonders deutlich zu machen: Seit Beginn meiner Tätigkeit am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ( DIW ) im Jahr 2004 werden meine Forschungsergebnisse stark von der Öffentlichkeit
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