Kanada
kennzeichnete. Ich wusste, dass nicht alle Indianer in Wigwams lebten und auf dem Boden schliefen und Federn trugen. Soweit ich wusste, gingen keine Indianer auf die Lewis-Highschool. Aber ich wusste, es gab Indianer, die ständig betrunken waren und im Winter, am Asphalt festgefroren, in Seitenstraßen aufgefunden wurden. Und es gab Indianer im Büro des Sheriffs, die sich nur um Straftaten von Indianern kümmerten. Aber ich hatte angenommen, wenn man dorthin führe, wo Indianer lebten, würden sie anders aussehen. Diese beiden Jungen sahen kein bisschen anders aus als ich, obwohl ihr Haus wirkte, als müsste es jeden Moment einstürzen. Wo wohl ihre Eltern waren, überlegte ich.
»Dieselbe Frage könnte man wohl den Parsons’ stellen, oder?«, sagte mein Vater, als wäre das ein Witz. »Was tun wir eigentlich in Montana? Wir sollten in Hollywood sein. Ich könnte Roy Rogers’ Double sein.« Sagte er und fing an zu singen. Er sang oft. Seine Sprechstimme war weich, und ich hörte sie gern, aber seine Singstimme war nicht gut. Berner hielt sich meistens die Ohren zu. Diesmal sang er »Home, home on the range«, einen seiner Lieblings-Countrysongs, bei dem er gern die zweite Zeile verulkte: »Da sagen sich Jux und Weh gute Nacht«. Einer seiner Witze. Ich dachte derweil, diese Indianerjungen spielen bestimmt nicht Schach und sind auch nicht im Debattierclub, wahrscheinlich gehen sie gar nicht zur Schule und werden nie auf einen grünen Zweig kommen.
»Ich bewundere die Indianer«, sagte mein Vater, nachdem er fertig gesungen hatte. Dann verstummten wir.
Wir fuhren an dem zweiten baufälligen Haus vorbei, vor dem ein schwarzes Auto auf dem Dach lag, keine Türen, keine Reifen, keine Scheiben in den Fensteröffnungen. Das Dach dieses Hauses hatte große Löcher zwischen den Schindeln. Um den Eingang herum standen hohe Malven und Flieder, wie bei uns zu Hause, und sie hatten einen kreisförmigen Schweinepferch aus Autoradiatoren gebaut. Die Schnauzen und Ohren der Schweine schauten über den Radiatoren hervor. Hinter dem Haus stand außerdem eine Reihe weißgestrichener Bienenstöcke, um die sich offenbar ein Bewohner kümmerte. Das zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich hatte damals schon mein Bienenbuch und wollte meinen Vater unbedingt davon überzeugen, mir beim Zusammenbauen eines einzelnen Bienenstocks hinter unserem Haus zu helfen. Ich wusste, wo man Bienen bestellen konnte, im Staat Georgia. Bald, das hatte ich im Radio gehört, würde der Jahrmarkt und die große Landwirtschaftsausstellung von Montana zu uns kommen, das Gelände lag nicht weit von unserem Haus entfernt, und ich hatte vor, mir die Bienen anzuschauen, das Bienenzuchtzubehör, die Vorführungen, wie ein Imker mit Rauch und mit der Ausrüstung umzugehen hatte, wie die Honigernte durchgeführt wurde. Bienenzucht hatte in meinem Kopf etwas mit Schach zu tun. Beides war kompliziert, folgte bestimmten Regeln und verlangte Geschicklichkeit und Zielstrebigkeit, in beidem lagen Wege zum Erfolg, denen man nur mit geduldiger, zuversichtlicher Erforschung auf die Spur kam. »Bienen sind der Schlüssel zum Rätsel aller menschlichen Dinge«, stand in dem Buch Bienenverstand , das ich mir aus der Bücherei ausgeliehen hatte. Vieles, das ich gern lernen wollte, hätte ich bei den Pfadfindern lernen können, wenn meine Mutter es nur zugelassen hätte. Hat sie aber nicht.
Eine untersetzte, bleichhäutige Frau in Shorts und einem Bikinioberteil trat in die Eingangstür und schützte ihre Augen vor der Sonne, als wir vorbeifuhren.
»In Alabama haben wir auch unsere Indianer«, sagte mein Vater mit einer Stimme, die Berner und mich davon überzeugen sollte, dass hier draußen alles vollkommen normal sei, falls wir daran gezweifelt hätten. »Wir haben die Chickasaw und die Choctaw und auch die guten alten Sumpfbulgaren. Die sind alle mit den Leuten von hier verwandt. Keiner von ihnen ist je fair behandelt worden, das ist ja klar. Aber sie haben ihre Würde und Selbstachtung nicht verloren.« Den Häusern, an denen wir vorbeikamen, war das nicht unbedingt anzusehen, aber ich war beeindruckt, dass die Indianer sich mit Bienen auskannten, und nahm an, dass sie mehr zu bieten hatten, als ich wusste.
»Wo ist die Ranch, die du verkaufen wirst?«, fragte ich.
Mein Vater griff über den Sitz hinweg und klopfte mir aufs Knie. »An der sind wir schon lange vorbei. Die kam nicht in Frage. Gut aufgepasst, mein Junge. Ich wollte bloß, dass ihr Kinder mal ein paar echte
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