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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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interessiert.
    Mein Vater blieb lange im Badezimmer und redete mit meiner Mutter. Draußen wurde es langsam dunkel, und meine Schwester kam aus ihrem Zimmer und machte Licht im Wohnzimmer, zog die Vorhänge zu und schaltete den Dachventilator aus, so dass es still im Haus wurde.
    Kurz darauf ging die Badezimmertür auf, und mein Vater sagte: »Über all das kann ich mir später Sorgen machen. Aber nicht jetzt.« Meine Mutter sagte: »Natürlich. Das kann ich dir nicht verdenken.« Er kam an meine Zimmertür, die offen stand. Er trug seine schwarzen Cowboystiefel und ein weißes Hemd mit Pfeilschlitz-Brusttaschen und Perlknöpfen und seinen Klapperschlangengürtel. Er zog sich gern gut an, nachdem er die meiste Zeit seines Lebens Uniform getragen hatte. Er war überzeugt, seit er versuchte, Ranches zu verkaufen, dass er selbst auch wie ein Rancher aussehen müsse, auch wenn er keine Ahnung von Ranches hatte. Er fragte mich, was ich gerade mache. Ich erzählte ihm, dass ich etwas über Bienen lernte und vorhätte, auf den Jahrmarkt zu gehen, was ich schon einmal erwähnt hatte. Dort würde es auch ein Zelt der Farmjugend geben, Jungen in meinem Alter würden die Fertigkeiten der Bienenzucht und der Honigernte im Detail demonstrieren. »Klingt nach einem Großunterfangen«, sagte er. »Du musst aufpassen, dass du nicht zu Tode gestochen wirst. Bienen rotten sich zusammen und überfallen einen, habe ich gehört.« Dann ging er zur Zimmertür meiner Schwester, fragte, was sie so mache, und erkundigte sich nach ihren Fischen. Meine Mutter kam mit ernster Miene aus dem Badezimmer, in einem grünen Frotteebademantel und mit einem Handtuch um die nassen Haare. Sie ging in diesem Aufzug in die Küche und holte Essen aus dem Kühlschrank. Mein Vater folgte ihr in die Küche und sagte: »Ich kriege das alles geregelt.« Sie sagte etwas, das ich nicht verstand, weil sie flüsterte. Dann ging mein Vater nach draußen auf die vordere Veranda, wo es dunkel war und kühler. Die Straßenlaterne war schon an. Er setzte sich in die Hollywoodschaukel mit ihrer dünnen, knackenden Kette und schwang hin und her, während die Zikaden lärmten. Ich hörte ihn einiges vor sich hinmurmeln, was mir sagte, dass er sich Sorgen machte. (Er führte oft Selbstgespräche – das taten sie beide –, so als gäbe es Unterhaltungen, die nicht gemeinsam geführt werden könnten. Die Selbstgespräche nahmen zu, wenn sie irgendetwas bekümmerte.) Einmal lachte er laut auf in seinem rhythmischen Hin-und-her-Schaukeln. Kurz darauf ging er zur Straße, stieg in sein Auto und fuhr weg, um was immer ihn besorgte zu regeln.
    Der nächste Tag war ein Sonntag. Wir gingen ja in keine Kirche. Mein Vater hatte eine große Familienbibel in seiner Kommodenschublade, in der sein Name stand. Offiziell gehörte er der Kirche Christi an und war vor vielen Jahren in Alabama gerettet worden. Meine Mutter verkündete, sie sei »ethische Agnostikerin«, obwohl sie doch Jüdin war. Berner sagte, sie glaube alles und nichts zugleich, was erklärte, warum sie so war, wie sie war. Ich kann mich nicht erinnern, je an irgendetwas geglaubt zu haben – ich wusste nicht mal, was Glauben bedeutete –, außer daran, dass Vögel flogen und Fische schwammen, an Dinge, die man demonstrieren konnte. Trotzdem war der Sonntag ein besonderer Tag. Da sprach keiner viel oder laut, vor allem nicht morgens. Mein Vater sah sich die Nachrichten im Fernsehen an, später Baseball, und trug seine Bermudashorts und ein T-Shirt, was er unter der Woche nicht machte. Meine Mutter las ein Buch, arbeitete an ihren Schulplänen für den Herbst und schrieb in ihr Tagebuch, das sie seit ihrer Jugendzeit führte. Meistens machte sie nach dem Frühstück einen langen Spaziergang allein, die Central Avenue hoch und über den Fluss in die Stadt, wo nichts los war und die Straßen weitgehend menschenleer dalagen. Danach kam sie nach Hause und machte das Mittagessen. Ich hatte mir den Sonntag ausgesucht, um Schachzüge zu üben und weitere Regeln zu lernen, was, wie mir die Jungen im Club mitgeteilt hatten, der Schlüssel zu allem sei. Wenn man all die komplexen Regeln völlig verinnerlicht habe, dann könne man intuitiv spielen und kühn, so wie Bobby Fischer im Alter von siebzehn Jahren – nicht viel älter als ich jetzt.
    An jenem Sonntagmorgen kam nichts von dem, was am Abend vorher »geregelt« werden musste und worüber meine Eltern eine Stunde lang im Badezimmer debattiert hatten, zur Sprache. Ich hatte

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