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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Takt mit. Auf zwanzig Bildschirmen spielte die Footballmannschaft der Uni Minnesota, begleitet von gelegentlichen Anfeuerungen, dann Aufstöhnen.
    »Nein«, sagte Berner. »Wirklich nicht.« Sie löste den Blick von ihrem Martini, als wären ihr erst jetzt das Singen und Klatschen aufgefallen. »Dieses Geheimnis teilen wir, nicht wahr? Mit der ganzen Welt. Die Dinge laufenzulassen. Das verbindet uns mit dem Rest der Menschheit. Ist jedenfalls mein Ansatz.« Sie lächelte, ohne ersichtlichen Grund. Ich erinnerte mich, wie sie mir zu Beginn ihres eigenständigen Lebens geschrieben hatte, dass wir dieselben Gefühle haben und dieselben Anschauungen . Sie hatte schon damals angefangen, die Welt mit anderen zu teilen, ich noch nicht. Ich war in der Welt ausgesetzt worden. Ich fragte mich, ob ich meine Schwester jetzt irgendwie enttäuschte, in einer bedeutsamen Weise. Bot ich ihr mein wahres, mein echtes Ich? Hatte ich ihr die Wahrheit über mein Leben gesagt? Ich wollte sie auf keinen Fall enttäuschen. Mehr konnte ich ihr nicht geben, und das war schon immer eine meiner Sorgen gewesen – angesichts meiner Vergangenheit und meines Berufs als Lehrer, wo man immer eine Rolle spielt, auch wenn man versucht, es zu vermeiden. Es ist nie klar, schließlich haben wir alle verschiedene Ich-Kostüme, zwischen denen wir wählen können. »Vielleicht hast du ja eine verborgene wilde Ader«, sagte sie, »und ich eine verborgene normale. Eine zahme.« Sie hatte ihre Gedanken in ein inneres Gespräch schweifen lassen, das wir eigentlich gar nicht führten.
    »Wahrscheinlich«, sagte ich und nippte an meinem Wein, der schal schmeckte. »Das könnte zur Hälfte stimmen, mindestens.«
    »Okay.« Sie senkte den Blick. Sie hatte sich beim Abschweifen ertappt. Ihre braun-grauen Haare, vorne schütter, waren streng nach hinten gekämmt. Sie hatte zwei Ohrlöcher, aber sie trug keinen Schmuck. Ihre Ohrläppchen waren blass und weich. »Und, bist du noch der Schachmann?«, fragte sie und lächelte mich an, um zu zeigen, dass sie jetzt aufpasste.
    »Nein«, antwortete ich. »Ich unterrichte Schach. Ich war nie ein guter Spieler.«
    Sie sah sich plötzlich um, als käme unser Essen. Ihre Suppe. Mein Salat. Es kam aber nicht. »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte sie, griff nach der Plastiktüte und stellte sie auf den Tisch. »Also.« Sie seufzte und nahm einen Stapel weißer Notizbuchseiten hervor, die trocken waren und gelocht und mit augenscheinlich steif gewordenen Stückchen Schnürsenkel zusammengebunden. Ihre Farbe war Berners Haut nicht ganz unähnlich. »Ich wollte dir das nicht mit der Post schicken.« Sie legte eine Hand auf den Stapel, damit er nicht verrutschte, dann lächelte sie mich an. »Ich wusste nicht, ob ich dich mögen würde. Oder ob du mich mögen würdest – und ob du das hier überhaupt willst.« Sie seufzte wieder, diesmal sehr tief, als hätte sie eine Niederlage erlitten.
    »Was ist das?«, fragte ich. Verblasste Handschrift in Tinte bedeckte die oberste Seite.
    »Nur ihre ›Chronik‹ – so nennt sie es. Nannte. Sie schrieb sie im Gefängnis, in ihrer ersten Zeit dort – wenn man sich die Daten anschaut. Sie hat sie an Mildred geschickt, deren Sohn ich mal begegnet bin. Tief im Westen. Und Mildred hat sie mir geschickt. Vor langer Zeit – wie viele Personen Abstand das auch immer ergibt. Sie hätte sie an dich schicken sollen. Aber Mutter-Tochter, das war für sie wohl von Bedeutung. Denk ich mal. Da steht nichts drin, was irgendwen verstören könnte. Keine großen Enthüllungen. Aber man hört sie – was irgendwie schön ist. Du sollst das haben.« Sie schob die Seiten mit ihren beiden versehrten Händen über die Tischplatte, wodurch ihr Martiniglas ein Stückchen verrückt wurde und die Ecke der untersten Seite anfeuchtete.
    »Vielen Dank«, sagte ich und nahm die Seiten an mich.
    »Sie nennt es die Chronik eines schwachen Menschen. Was sie war.« Berner biss ein trockenes Hautfetzchen von ihrer Unterlippe, als interessierte sie der Inhalt der Seiten plötzlich doch wieder, nachdem sie sie mir übergeben hatte. Nachdem ich die Entfernung überwunden hatte, um sie zu bekommen. »Sie sagt darin Dinge wie: ›Man ist nur ein guter Mensch, wenn man etwas Schlechtes tun könnte und sich dagegen entscheidet.‹ Und: ›In unserer Ehe haben wir versagt.‹ Da kann jeder zustimmen. ›Was macht das Leben besser, das ist hier die Frage.‹ Und: ›Man weiß erst, dass das eigene Leben unerträglich ist, wenn man

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