Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
ungläubig.
»Soweit wir wissen, ist aus dem Gefahrguttransporter Flüssigkeit ausgelaufen. Die Feuerwehr ist mit dem Chemiebekämpfungstrupp der Ostwache vor Ort. Die haben den Tank hoffentlich bald abgedichtet und das ausgelaufene Zeug beseitigt. Zwei weitere Personen sind offenbar mit dem Gift in Kontakt gekommen und auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich fahre gerade mit Dutzen rüber zum Hafen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Es ist sicher nicht schlau, wenn du da hinkommst.«
Im Hintergrund hörte Island einen deutlichen Unmutslaut. Jan Dutzen schien über den Verkehr zu fluchen und auf das Lenkrad einzudreschen. Island vermutete, dass ihre beiden Kollegen gerade auf dem Ostring unterwegs waren, der auch am späten Abend immer noch dicht befahren war.
Island stopfte die Pommes-frites-Schale in einen überquellenden Mülleimer am Zaun des Minigolfplatzes. »Ich bin in zwanzig Minuten da«, sagte sie, ohne nachzudenken.
Bruns ließ sie gar nicht ausreden. »Ich muss dich wohl nicht erst auf das Mutterschutzgesetz aufmerksam machen. Mit dem Giftzeug da ist nicht zu spaßen.«
»Okay.« Natürlich war sie nicht versessen darauf, mit einem sechs Monate alten Baby im Bauch an einen toxischen Ort zu fahren. Außerdem würde sich die Polizei sowieso im Hintergrund halten, bis die Feuerwehr die Gefahr beseitigt hatte. Allerdings würde sie bei den nachfolgenden Ermittlungen kaum richtig beteiligt sein, wenn sie die Lage nicht in Augenschein nehmen konnte. Das verursachte ihr schon jetzt ein unangenehmes Gefühl von Unzulänglichkeit.
»Wenn es dich tröstet«, sagte Bruns, »hätte ich was anderes für dich.«
»Und zwar?«
»Ich habe gerade Hauptmeister Stark von der Polizeistation in Achterwehr in der Leitung und würde ihn gern zu dir durchstellen. Es gibt bei ihm gewisse Unklarheiten.«
»Bitte«, sagte Island und lauschte dem Klicken im Lautsprecher.
»Stark.« Die Stimme klang nasal.
»Island, Mordkommission. Worum geht’s?«
»Ich befinde mich im Dorf Groß Nordsee im Haus von einer Frau Marxen. Die Dame hat uns vor einer Stunde angerufen und uns gebeten, bei ihr vorbeizukommen. Sie hat heute Morgen an der Badestelle am Flemhuder See einen Toten gesehen, sagt sie.«
»Und?«
»Wir sind zusammen mit Frau Marxen zu der fraglichen Stelle gefahren, aber da war niemand.«
»Na, dann war der wohl doch nicht so tot, wie er aussah«, meinte Island spöttisch.
»Kann sein. Ich frag mich aber trotzdem, ob wir noch was tun sollten?«
»Sie haben alles gründlich abgesucht?«
»Selbstverständlich. Aber außer einem blutbesudelten Handtuch haben wir nichts gefunden.«
»Sie haben das Handtuch gesichert?«
»Es liegt in einem Müllsack in meinem Kofferraum.«
»Sonst noch irgendetwas?«
»Nein.«
»Kein platt gedrücktes Gras, wo das Handtuch gelegen hat? Und keine sonst irgendwie auffälligen Spuren?«
»Nichts.«
»Glauben Sie, dass an den Beobachtungen der Zeugin was dran ist?« Island war etwas außer Atem geraten, denn sie erklomm gerade die Anhöhe zum Falckensteiner Parkplatz.
Hauptmeister Stark zögerte wieder. Er ging offenbar in einen anderen Raum, denn als er leise antwortete, umgab seine Stimme ein starker Hall. »Die gute Frau hat, gelinde gesagt, eine ganz schöne Fahne, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Sie ist betrunken?«
»Also, lallen tut sie nicht, aber nüchtern ist sie auch nicht.«
»Na, dann«, meinte Island. »Sagen Sie der Zeugin, ich komme gleich morgen früh bei ihr vorbei. Hoffentlich ist sie da wieder nüchtern.«
»Natürlich. Sollen wir weiter nach dem angeblichen Toten suchen?«
»Gehen Sie bitte noch einmal das Gelände ab, bevor es ganz dunkel wird. Nehmen Sie Taschenlampen mit, und sperren Sie die Augen auf. Wenn Sie irgendetwas Bemerkenswertes finden, rufen Sie mich an, ja? Konnte Frau Marxen den Mann denn näher beschreiben?«
»Um die dreißig soll er gewesen sein. Mit hellen, krausen Haaren, aber dunkler oder zumindest gebräunter Haut.«
»Ein Farbiger?«
»So genau wollte unsere Zeugin sich nicht festlegen.«
»Wird jemand, auf den diese Beschreibung passt, in Ihrem Zuständigkeitsbereich vermisst?«
»Sieht nicht so aus«, antwortete Stark und schnäuzte sich.
»Dann sprechen wir uns morgen früh wieder«, sagte Island, deren Tatendrang im Laufe des Telefonats auf null gesunken war. Sie hatte ihren Wagen erreicht und warf den Rucksack auf den Rücksitz. Während sie sich mühsam hinter das Steuer quetschte, rülpste sie ungeniert.
6
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