Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kandide oder die beste aller Welten

Kandide oder die beste aller Welten

Titel: Kandide oder die beste aller Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
Vom Netzwerk:
bei Hofe; einen hochgestudiertern Mann gibt's im ganzen Lande nicht. Geben Sie dem halbweg ein gut Wort, so kramt er Ihnen all seine Gelehrsamkeit aus. 's is ne rechte gute ehrliche Haut.
    Sogleich führte er Kakambo zu dem Alten. Kandide, der jetzt die zweite Rolle spielen mußte, begleitete seinen Bedienten. Das Haus des Gelehrten sah ganz schlecht und recht aus. Die Tür bestand aus kahlem Silber, die Vertäflung des Zimmers aus lumpichtem Golde, war aber so geschmackvoll gearbeitet, daß sie von der reichsten Vertäfelung nicht verdunkelt wurde. Das Vorzimmer war freilich nur mit Rubinen und Smaragden ausgelegt, allein alles daselbst so schicklich angeordnet, daß man diese bäurische Einfalt bald darüber vergaß.
    Der Greis nötigte die beiden Fremden auf ein mit Kolibrisdunen ausgestopftes Sofa und ließ ihnen in diamantenen Geschirren allerhand Getränke vorsetzen; hierauf befriedigte er ihre Neugier folgendermaßen:
    Ich bin hundertundzweiundsiebenzig Jahre alt und habe von meinem Vater, dem königlichen Stallmeister, die erstaunlichen Meutereien gehört, die in Peru vorgefallen sind und wovon er Augenzeuge gewesen. Das Reich, worin wir uns befinden, ist der Stammsitz der Inkas. Um einen andern Weltteil zu unterjochen, verließen sie ihn höchst unweislich und wurden von den Spaniern ganz aufgerieben.
    Die Fürsten von ihrem Geblüt, die in ihrem Vaterlande blieben, waren weiser, sie ließen die Verordnung ergehen, daß kein Einwohner je unser kleines Reich verlassen sollte; ein jedweder hat sich danach gefügt, und eben darum besitzen wir unsre Unschuld noch völlig und unsre Glückseligkeit. Die Spanier haben von diesem Lande einen dunklen Begriff gehabt und es Eldorado genannt, und ein Engländer, der Ritter Raleigh, kam vor hundert Jahren ziemlich in unsere Nähe; dennoch sind die uns umringenden unersteiglichen Felsen und unzugangbaren Abgründe eine Brustwehr gegen die Raubgier der europäischen Nationen gewesen, die — was uns unbegreiflich ist — auf unsere Kieselsteine und auf unseren Dreck so gierig, so erpicht sind, wie der Falke auf die Taube, und die imstande wären, uns alle umzubringen, um nur des Bettels habhaft zu werden.
    Ihre Unterredung dauerte lange. Sie betraf die Regierungsform, die Sitten, die Weiber, die öffentlichen Schauspiele, die Künste. Endlich ließ Kandide, dessen Steckenpferd Metaphysik war, sich durch Kakambo'n erkundigen, ob sie hierzulande Religion hätten. Und daran könnt Ihr noch zweifeln, sagte der Greis, und eine feine Röte bezog seine Wange. So haltet Ihr uns für Undankbare? Kakambo fragte ganz demütiglich, was sie für eine Religion hätten. Sollte es denn mehr geben können als eine Religion? frug der Greis, und seine Wange färbte sich von neuem. Ich denke, wir haben die Religion, welche die ganze Welt hat: wir beten Gott an vom Morgen bis zum Abend. Sie beten nur einen Gott an? sagte Kakambo, dessen Amt es war, Kandides Zweifel zu verdolmetschen. Als wenn es deren zwei, drei oder vier gäbe! erwiderte der Alte. Wahrlich! Ihr Leute vom andern Weltteil fragt manchmal ganz sonderbar.
    Kandide, des Erkundigens noch nicht überdrüssig, fragte durch sein Sprachrohr, wie ihre Gebete beschaffen wären. Von Gebeten wissen wir nichts, antwortete der gute und ehrwürdige Weise. Wozu sollen wir Gebete zu Gott senden? Er gibt uns ja alles, was zu unseres Leibes Nahrung und Notdurft gehört. Dankopfer bringen wir ihm aber unaufhörlich.
    Kandide war neugierig, ihre Priester kennenzulernen, und erkundigte sich, wo sie wären. Priester, antwortete der gute Greis lächelnd, ist jedermann bei uns. Der König und jeder Hausvater singt Gott jeden Morgen sein Loblied in Begleitung von sechstausend Geigern und Pfeifern. „So habt Ihr also keine Mönche, die Lehr' und Trost erteilen, Gezeter und Hetzereien anfangen, das Staatsruder ergreifen, intrigieren und Leute verbrennen lassen, die nicht ihrer Meinung sind." Toren wären wir dann, sagte der Greis. Wir sind insgesamt einer Meinung zugetan und verstehn gar nicht, was Ihr mit Euren Mönchen sagen wollt.
    Kandiden setzten diese Reden in die äußerste, freudigste Verwunderung, und er sagte bei sich: Ha! ein ganz ander Ding als unser Westfalen und unser Donnerstrunkshausen! Hätte Freund Panglos Eldorado gesehen, er würde gewiß nicht behauptet haben, es gäbe nichts Vortrefflicheres auf Gottes Erdboden als jenen Rittersitz! Reisen muß man, oder man kömmt hinter nichts. Das ist ausgemacht!
    Nach dieser Unterredung ließ der

Weitere Kostenlose Bücher