Kandide oder die beste aller Welten
einen Wink fallen lassen. Sie erinnerte Kandiden an sein Versprechen in einem so gebietrischen Tone, daß der gute Kandide sich nicht unterstand, ihr einen Korb zu geben. Er ging also hin zum Baron und notifizierte ihm, daß er seine Schwester heiraten würde.
Diese Niederträchtigkeit von Seiten meiner Schwester und diese Frechheit von Seiten Ihrer, Kandide, werd' ich nie zugeben, sagte der Baron. Bei Gott! diese Infamie soll man mir nie vorwerfen! Die Kinder meiner Schwester würden nie Stifts- und turnierfähig sein! Nein, meine Schwester soll nie einen andern bekommen als einen Reichsfreiherrn.
Kunegunde warf sich ihm zu Füßen und badete sie mit Tränen; er blieb unbeweglich. Hans Hasenfuß! rief Kandide. Ich habe dich von den Galeeren gerettet, habe für dich und für deine Schwester das Lösegeld bezahlt. Sie war hier Scheuermädel, ist häßlich wie die Sünde, ich bin so gutherzig und will sie zum Weibe nehmen, und du willst es nicht zugeben. — Töten kannst du mich, aber heiraten sollst du nie die Baroneß, meine Schwester, so lang' ich lebe, rief der Baron.
Dreißigstes Kapitel: Schlußszene
So rechte Lust hatte freilich Kandide eben nicht, Kunegunden zu heiraten, indes hatte er sein Wort einmal gegeben, Kunegunde drang so heftig in ihn, und der außerordentliche Junkerstolz des Barons verdroß ihn so sehr, daß er den festen Entschluß faßte, die Heirat zu vollziehen. Vorher pflog er mit Panglosen, Martinen und Kakambo'n geheimen Rat.
Panglos verfertigte einen gar stattlichen Aufsatz, worin er bewies, daß dem Baron keine Gerechtsame über seine Schwester zustünden und daß sie nach allen Reichsgesetzen sich Kandiden konnte an die linke Hand trauen lassen. Martin stimmte dahin, daß der Baron sollte in's Meer geworfen werden. Kakambo tat den Ausspruch: Man müsse ihn wiederum dem Levantefahrer überantworten, eine Zeitlang an die Ruderbank schmieden und dann mit dem ersten, besten Schiffe nach Rom an den Pater General schicken.
Diesem Gutachten ward einstimmig beigetreten; die Alte billigte es auch, wie sie's erfuhr; vor Kunegunden ward's verheimlicht. Mit etlichen Dukaten war das Projekt ausgeführt, und man hatte die Freude, einen Jesuiten zu überlisten und einen ahnenstolzen Gauch zu bestrafen.
Verheiratet mit seiner Trauten, umgeben vom Philosoph Panglos und Philosoph Martin, vom klugen Kakambo und der weisen Alten und überdies im Besitz so vieler Diamanten, die er aus dem Vaterlande der alten Inkas mitgebracht, hätte man glauben sollen, daß Kandide das wonnigste Leben von der Welt führen müßte. Gewaltig geirrt! Die Juden hatten ihn so vielfältig geprellt, daß er weiter nichts übrigbehielt als sein Vorwerkchen; seine Frau ward täglich häßlicher und zugleich zänkisch und unleidlich; die Alte kränkelte in einem fort und war noch üblerer Laune als Kunegunde. Kakambo, der im Garten arbeitete und die Hülsenfrüchte nach Konstantinopel herein zum Verkauf trug, arbeitete und plackte sich ganz ab und vermaledeite sein Schicksal. Panglos war voll des bittersten Unmuts, daß er nicht mehr als Professor auf irgendeiner Universität seines deutschen Vaterlands glänzen konnte. Martin nahm alles, was ihn traf, gelassen hin, in der festen Überzeugung, daß allenthalben Elend und Unglück herrsche.
Kandide, Martin und Panglos disputierten manchmal über Sätze aus der Metaphysik und Moralphilosophie. Unter ihren Fenstern passierten sehr oft Schiffe vorbei, die mit Effendis, Bassas, Kadis beladen waren, welche nach Lemnos, Mytilene und Erzerum ins Elend geschickt wurden. Es kamen frische Bassas, frische Kadis, frische Effendis wieder, welche an den Platz der vertriebenen traten und nicht lange drauf wieder aus selbigen vertrieben wurden. Es schifften gar wohleinballierte Köpfe vorbei, die der hohen Pforte überreicht werden sollten.
Diese abwechselnden Auftritte gaben immer neuen Stoff zu neuen lebhaften Abhandlungen; wenn sie sich aber ausdisputiert hatten, herrschte eine so unausstehliche Langeweile unter ihnen, daß die Alte sich eines Tages unterstand, folgende Frage aufzuwerfen: Ich möchte wohl wissen, was schlimmer ist, hundertmal von maurischen Seeräubern geschändet zu werden, sein halbes Hinterteil sich abnehmen zu lassen, bei den Bulgaren Spießruten zu laufen, bei einem Autodafe gestäupt und aufgehängt zu werden, sich sezieren zu lassen, als Sklav auf den Galeeren zu rudern, kurz all' das Elend auszustehn, das wir insgesamt erlitten haben, oder sein ganzes Leben die
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