Kann ich dir jemals widerstehen?
wunderschön gewesen. Alles, was sie sich von seinem Kuss
erträumt hatte, wurde wahr. Ein zartes Verschmelzen ihrer
Lippen. Sanfte Glut, die das Feuer erahnen ließ, wenn er seiner
Leidenschaft freien Lauf ließ.
Bis
er den Kuss beendete – und damit ihre Euphorie im Keim
erstickte. Sein Blick, als er ihre Arme von seinem Nacken löste,
war derselbe gewesen wie jetzt.
Freundlich.
Wohlwollend.
Amüsiert.
4.
Kapitel
"Du
hast nach Charlie gefragt", sagte Tonya abrupt. Sie wollte
sowohl die Erinnerung an jene längst vergangene Weihnachtsparty
verdrängen als auch diesen Moment der intensiven Nähe
möglichst schnell beenden. Sie wandte sich wieder ihrem
Suppentopf zu. Ihre Hände zitterten noch immer, als sie eine
große Portion in eine Schale füllte und sie Webster
reichte.
"Die
Hütte gehört Charlie Erickson. Und die Bären auch."
Sie
horchte auf das weiche Tappen seiner Schritte in den Socken, während
Webster zum Tisch ging. Draußen tobte der Wind, der Regen
schien nicht nachlassen zu wollen.
"Die
Bären gehören Charlie?"
Sie
stellte ihm ein Glas Milch und eine Blechdose mit Crackern hin und
legte einen Löffel neben die Suppenschale. "Sozusagen.
Charlie lebt hier seit sechzig Jahren und reichert ihre natürliche
Nahrung an mit Nüssen, Beeren, Hundefutter und allem, was ihm
Läden und Lokale schenken. In Koochichin County leben ungefähr
hundertfünfzig Bären, vierzig bis sechzig davon kennen
Charlies Refugium und versammeln sich hier morgens und abends."
Er
aß einen Löffel Suppe. "Refugium?"
"Hier
sind sie sicher vor Jägern. Nächste Woche beginnt die
Jagdsaison, daher lockt Charlie die Bären mit Futter an, in der
Hoffnung, sie aus der Schusslinie zu bringen. Wahrscheinlich hast du
die Schilder mit der Aufschrift 'Jagen verboten' auf der Herfahrt
bemerkt."
Webster
nickte und trank einen Schluck Milch.
Es
gefiel Tonya, dass er kräftig zulangte und nicht geziert wie ein
Städter aß. Er genoss die Mahlzeit sichtlich.
"Und
wo ist Charlie momentan?"
"Er
erholt sich im Krankenhaus von International Falls von einem
Herzschlag."
Den
Löffel auf halbem Weg zum Mund, hielt Webster inne. "Das
hört sich aber nicht gut an."
Sie
wischte mit dem Geschirrtuch am Gasherd herum. "Dafür, dass
er achtzig ist, hält er sich wacker. Seit seinem Herzanfall sind
zwei Wochen vergangen, es war glücklicherweise kein sehr
schwerer. In ein, zwei Wochen darf er sicherlich wieder nach Hause."
Webster
stützte die Ellbogen auf den Tisch und musterte sie. "Und
du kümmerst dich solange um seine Bären."
Tonya
zuckte mit den Schultern. "Das finde ich nur gerecht, nachdem er
mir erlaubt hat, sie zu fotografieren."
Ein
weiterer langer Blick folgte, dann widmete Webster sich wieder seiner
Suppe. Bis auf die Geräusche des Unwetters war es still in der
Hütte, während er aß. Das schummerige Licht und das
Toben der Elemente draußen schufen eine heimelige Atmosphäre
und schirmten sie beide vor der Außenwelt ab – nicht
jedoch vor ihren Gedanken.
Mit
neunzehn war Tonya aus der Kleinstadt Manchester, Iowa, nach New York
gekommen. Sie hatte einen Abschluss vom örtlichen College in der
Tasche, den Kopf voll großer Träume sowie ein beachtliches
Talent, das nur den letzten Schliff brauchte. Ihren ersten Job bekam
sie als Foto-Assistentin bei Tyler-Lanier. Es war zugleich ihr
letzter Job in einer Großstadt. Man sprach von einer generellen
Verschlankung des Unternehmens, doch für Tonya war es der Schock
schlechthin. Sie hatte sich Hoffnungen gemacht, dass dieser Job ihr
Einstieg zu einer glänzenden Karriere wäre. Die Kündigung
kam am Heiligabend, dem Tag nach der Weihnachtsparty. Dem Tag, an dem
sie sich bis auf die Knochen blamiert hatte, indem sie sich Webster
an den Hals warf.
"Wie
hast du von dieser Hütte erfahren?" Websters tiefe Stimme
holte sie zurück in die Gegenwart und weg von ihren trüben
Betrachtungen.
"Wie
hören Fotografen von solchen Gelegenheiten? Von Kollegen. Ich
habe die Jesups bei einem Auftrag begleitet", erklärte sie.
Das berühmte Ehepaar und Kamerateam hatte sie vor einigen Jahren
unter seine Fittiche genommen und ihr so manchen wichtigen Kontakt
vermittelt.
"Sie
erzählten mir, dass sie vor etwa dreißig Jahren eine
Bildreportage über Bären in Minnesota gemacht hatten.
Charlie war ihnen unvergesslich geblieben. Sie berichteten so
begeistert von ihren Erlebnissen, dass ich Lust bekam, mir die Bären
selbst anzusehen." Tonya trug den Suppentopf zum Tisch und
füllte nach.
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