Kann ich gleich zurueckrufen
paar Studien zu lesen, über Probleme von Jungen, die ohne Vater aufwachsen. »Was soll dein konservativer Spießerchef denn groß sagen, wenn du ihm erklärst, dass ein Junge einen Mann als Vorbild braucht, in dieser Welt der Erzieherinnen, Lehrerinnen, Mütter.« Jetzt lacht mein Mann. »Ich schlage ihn mit seinen eigenen Waffen. Und lege ihm das Buch von Altkanzlersohn Walter Kohl 36 auf den Schreibtisch – mein Chef ist nämlich ein glühender Kohl-Anhänger. Und Vater von zwei Söhnen.« Wir stoßen an und trinken noch einen kleinen Schluck Wein.
»So. Was mache ich denn jetzt mit meiner Mutter?«, frage ich. »Du kannst gar nicht so viel machen«, sagt mein Mann. »Warte die Untersuchungen ab, sprich mit den Ärzten, beobachte deine Mutter. Besuch sie so viel, wie du kannst, aber setz dich dabei nicht allzu sehr unter Druck.« Er sagt, dass ich auch nächste Woche und nächsten Monat noch Kraft haben muss. Dass es nicht darauf ankommt, in der ersten Woche täglich zehn Stunden an ihrem Bett zu sein. »Was mache ich denn mit dem Kleinen?«, frage ich weiter. »Nimm ihn mit«, sagt mein Mann. Ihm ist natürlich klar, dass Krankenhäuser kein optimaler Ort sind für dreijährige Kinder: Keime an jeder Türklinke. Aber die Oma gehört zu unserem Leben dazu. Und wenn es der Oma schlecht geht, darf unser Sohn das wissen. Und er darf auch spüren, dass sich deswegen etwas verändert in unserem alltäglichen Leben. »Außerdem hilft es dir, ihn dabeizuhaben: Erstens weil du so keinen Babysitter suchen musst. Zweitens weil du so deinen Aufenthalt im Krankenhaus zeitlich begrenzt. Und drittens weil er dich unterstützt – moralisch.« Ich muss lachen. Mein dreijähriger Sohn als moralische Stütze am Krankenbett meiner Mutter. Aber irgendwie hat mein Mann auch recht mit dem, was er sagt.
Er räuspert sich. »Kommen wir zum nächsten Problem: Was ist, wenn deine Mutter zum Pflegefall wird?« Ich bin froh, dass er ausspricht, wovor ich mich fürchte. »Ja, was dann«, sage ich. Wir könnten ein Pflegeheim für sie finden, schlage ich vor. Oder sie in unserem Gästezimmer einquartieren, schlägt er vor. »Meinst du das ernst?«, frage ich. Er nickt. Und sagt, dass für ihn Familie auch bedeutet, dass man in schweren Zeiten näher zusammenrückt. »Lass uns nichts überstürzen«, sagt er. »Zuerst informieren wir uns, sprechen mit deiner Mutter, den Ärzten und sonst wem. Und dann entscheiden wir. Gemeinsam. Ebenso wie wir gemeinsam entscheiden, was für unser Kind das Richtige ist.« Er sagt auch, dass er besonders in den letzten Tagen erkannt hat, dass meine Belastbarkeit Grenzen hat. »Du bist gereizt, gehetzt und nur noch entspannt, wenn du ein Glas Wein getrunken hast.« Er sieht meine Empörung und nimmt meine Hand. »Nein! Ich will damit nicht sagen, dass du ein Alkoholproblem hast. Ich will damit sagen, dass dir gerade alles zu viel ist. Das war schon so, bevor deine Mutter einen Schlaganfall hatte.«
Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Ich will nicht, dass wir unser Kind wegorganisieren, um Vollzeitbürger zu sein, und auch noch deine Mutter.« Ich nicke. »Hey, und außerdem glaube ich einfach nicht, dass sie sich nicht wieder erholt. Wo ist unser Optimismus?« Er hält mir sein Weinglas entgegen und will noch einmal anstoßen. In meinem Glas ist ein winziger Rest, ich stoße an, trinke aber nicht. Gerade ist mir der Alkohol zuwider. Es hat ganz schön wehgetan zu hören, dass ich nur noch mit einem Glas Wein entspannt sein kann.
Es ist spät geworden, aber die Uhrzeit erscheint mir bedeutungslos. Nicht nur mein Mann hat bemerkt, dass ich am Ende bin mit meinen Kräften, ich habe es selbst schon auch gespürt. Meine Aversion gegenüber mir als vermeintlicher Karrierefrau. Warum renne ich denn immer in dieses Büro? Die Antwort darauf gefällt mir nicht sonderlich: Ich habe Angst davor, zu spät zu kommen. Aufzufallen. Mich stellen zu müssen. Und zuzugeben, dass mir mein Job eigentlich herzlich egal ist. Weil ich verstanden habe, dass es noch etwas anderes gibt im Leben, etwas, das durchaus mehr Sinn macht, mehr Glück schenkt und mehr Energie spendet: ein glückliches Familienleben. Partnerschaft. Und ein Kind. Mich treibt noch nicht einmal die Angst an, verlassen zu werden und arm zu sein. Mich treibt die Angst an zuzugeben, dass dieses ganze Berufstätigkeitsgerede als einziger Lebensinhalt dumm ist.
Doch wenn ich mein Leben weiterhin durch diese Angst lenken lasse, ist es ein ganz schön
Weitere Kostenlose Bücher