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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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wirkten, als würden sie nur noch auf das Ende warten.
    Aber wohin dann mit meiner Mutter, wenn sie nicht mehr allein sein kann? Diese Frage stelle ich mir sonst, wenn es um meinen Sohn geht: Wohin mit dem Kind, das noch nicht allein sein kann? In meinem hektischen Leben gibt es weder Zeit noch Platz für solche Fragen. Noch einmal denke ich, dass sich etwas ändern muss.
    Es tut mir gut, hier zu sein. Meiner Mutter zuzusehen, wie sie schläft. Dadurch wird das Neue, das Bedrohliche, vertrauter und sofort weniger schrecklich. Meine Mutter ist immer noch meine Mutter. Auch wenn sie einen Schlaganfall hatte.
    Die Schwester kommt ins Zimmer und holt das Tablett. »Sie sind ja immer noch da«, sagt sie. Es klingt nicht vorwurfsvoll, eher überrascht. »Ja«, sage ich, »das Hiersein hilft mir, besser mit all dem zurechtzukommen.« »Verstehe«, sagt die Schwester und geht wieder aus dem Zimmer. Kurz darauf wacht meine Mutter auf. Sie reibt sich die Augen – mit beiden Händen. Ich sage ihr, dass ich jetzt nach Hause fahren werde. Und dass ich morgen wiederkomme. Dass sie keine Angst haben soll. Sie nickt. Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich ganz wach ist. Trotzdem verabschiede ich mich und gehe.
    Um 17:00 Uhr sitze ich wieder zu Hause am Küchentisch. Mein Sohn sitzt neben mir und hat Papier und Wasserfarben geholt. Er will den Fluss malen und die Steine, die er hineingeworfen hat. Ich freue mich und bin überrascht, dass die Zeit, die er mit meinem Mann verbracht hat, so einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Wenn ich mit ihm am Fluss bin, will er einen Stein mit nach Hause nehmen. Den Fluss malen, das hat er bislang noch nie gewollt.
    Wenn ich tief in mich hineinhöre, finde ich neben dem schlechten Gewissen, dass ich am Sonntag nicht bei meinem Kind war, auch ein kleines bisschen Eifersucht auf meinen Mann. Auf die schöne Zeit, die er mit dem Kleinen hatte. Es waren etwa zehn Stunden, die ich weg war. Zehn Stunden, die sich anfühlen wie ein Zwei-Wochen-Trip in einen unbekannten Dschungel. Ich bin sehr erschöpft. Vom Am-Bett-Sitzen und Handhalten. Vom Nachdenken. Vom Weinen und vom Weinenunterdrücken. Mein Mann sitzt neben mir am Küchentisch. Ich bin froh, dass er nicht fragt, keine Einzelheiten wissen will.
    Dann schälen wir Kartoffeln. Mein Sohn hält den Sparschäler, ich die Kartoffeln. Es dauert lang, bis alle Kartoffeln geschält sind. Ich schneide die Kartoffeln in Stücke und werfe sie in die Pfanne. »Papa, wir kochen Bratkartoffeln«, ruft der Kleine. Mein Mann kommt aus dem Wohnzimmer. Er hat gerade mit einem alten Schulfreund telefoniert, der seit kurzem als Staatsanwalt arbeitet. Vor vier Wochen ist der Staatsanwalt Vater geworden. Mittags fährt er vom Gericht nach Hause, um seine Tochter wenigstens kurz bei Tageslicht zu sehen. Seine Arbeitszeiten gehen bis spät in die Nacht. Der Schulfreund hat sich sein Leben so nicht vorgestellt, sagt mein Mann. Was ihn zermürbt, sind nicht die schlaflosen Nächte oder die viele Arbeit. Sondern die Gewissheit, dass es nicht besser werden wird: dass ihm immer Zeit fehlen wird. Zeit, die er nicht bei seiner Familie sein kann.
    Dabei verdienen Staatsanwälte doch nicht schlecht, sage ich. Und erinnere mich, wie ich mich vor ein paar Wochen über die Behauptung einer kinderlosen Kollegin geärgert habe: Es sei egal, ob eine berufstätige Frau Kinder habe oder nicht, die Karrierestufen könnten bei gleicher Qualifikation und, wie sie es genannt hat, gleichem »Biss« genauso leicht erreicht werden. Schwierigkeiten könnten in beiden Fällen auftreten. Angeblich gibt es dazu auch Studien. Ich habe dagegengehalten, dass es oft nicht um Qualifikation oder Biss geht, sondern um das Geld, das zur Verfügung steht. Wer sich die Kinderbetreuung individuell zusammenstellen kann und nicht auf die Schließzeiten von Kitas oder den Feierabend einer Tagesmutter angewiesen ist, hat es leichter. So machen es doch auch die Stars in Hollywood: Nehmen ihr Kind einfach mit zum Dreh, jetten in der Mittagspause schnell mal ins Hotel. Heute würde ich noch hinzufügen, dass eine kinderlose Frau vielleicht auch weniger Gründe hat, früher nach Hause zu kommen als eine Frau mit Kindern. Und dass man das auch bedenken muss.
    Mein Mann bestätigt, dass der Schulfreund als Staatsanwalt ganz gut verdiene. Doch um mit einem Hubschrauber in der Mittagspause zur Familie geflogen zu werden, dafür würde es nicht reichen. Abgesehen davon, dass ein Staatsanwalt in der Anfangszeit einfach

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