Kann ich gleich zurueckrufen
sehr viel arbeiten muss. »Das gehört eben dazu«, sagt mein Mann. Ich finde das nicht akzeptabel. Und sage absichtlich naiv, dass Staatsanwälte doch Beamte sind. Und dass es bestimmt auch Teilzeitstaatsanwälte gibt. »Aber die haben vielleicht kein Interesse an einer großen Karriere«, sagt mein Mann. »Ach, darum geht es deinem Freund: Er will die große Karriere und die glückliche Familie«, sage ich bissig. »Ganz genau«, sagt mein Mann. »So wie ich auch.«
Später essen wir Bratkartoffeln und Schnitzel und Salat und hinterher noch Grießbrei mit Zimt und Zucker. Mein Sohn will nach dem Essen baden, mein Mann lässt ihm Wasser ein. Ich nutze die Zeit, um die Nachbarin meiner Mutter anzurufen. Ich berichte vom Gespräch mit der Stationsärztin und beschreibe den Zustand meiner Mutter. Die Nachbarin fragt viel nach. Sie will wissen, ob ich das Gefühl habe, dass meine Mutter versteht, was passiert ist.
»Ich bin nicht sicher«, sage ich. »Wissen Sie«, sagt die Nachbarin, »sie hat immer gesagt, sie würde nie in ein Pflegeheim gehen wollen. Sie würde lieber zu Hause sterben, und lieber schnell als von Maschinen und Medikamenten verlangsamt.« Ich bin überrascht. Frage die Nachbarin, ob sie etwas von einer Patientenverfügung weiß. »Nein«, sagt die Nachbarin. »Nach dem Tod Ihres Vaters hat sie sich etwas verschlossen. Und ist längeren Gesprächen aus dem Weg gegangen. Nicht dass sie unfreundlich war. Sie schien nur so mit sich selbst beschäftigt zu sein.«
Ich sage, dass ich sie weiterhin auf dem Laufenden halte. Die Nachbarin verspricht, nach der Wohnung meiner Mutter zu schauen, den Briefkasten zu leeren und die Pflanzen zu gießen. Dann lege ich auf, halte das Telefon aber noch in der Hand. Ich schaue auf die Uhr. 19:03 Uhr. Sicher schläft meine Mutter jetzt.
War meine Mutter mir gegenüber auch verschlossen? Ich habe es nicht bemerkt, weil ich irgendwann nach dem Tod meines Vaters wieder auf Normalität umgeschaltet habe. Umschalten musste – das Jonglieren zwischen Kind und Büro war an vielen Tagen so anstrengend, dass ich nicht viel fragen konnte, wenn wir telefoniert haben. Ich habe sie oft angerufen, eine Zeitlang jeden Tag. Das ist weniger geworden, ebenso wie meine Geduld mit ihr.
Ihr Leben hat sich in den letzten zwei Jahren sehr verändert durch den Kampf gegen die Krankheit meines Vaters. Die Spuren sind immer noch zu sehen: Die Umbauten in der Wohnung – Griffe neben Badewanne und Toilette, ein Bett, dessen Kopfteil sich per Knopfdruck heben und senken lässt. Und die ganzen Medikamente sind noch da. Das ist mir heute Morgen aufgefallen, als ich Wäsche für meine Mutter geholt habe. Ich weiß nicht, ob sie diese Dinge für sich selbst aufhebt oder ob sie für sie die letzten Erinnerungen sind. Weder vor noch nach dem Tod meines Vaters habe ich mit meiner Mutter darüber gesprochen, was sie sich wünscht, wenn sie ernsthaft krank wird.
Ich stelle das Telefon auf die Ladestation und gehe ins Bad. Mein Mann trocknet den Kleinen ab. »Ich war im Fluss«, sagt mein Sohn. »Ich war ein großer Stein.« Ich ziehe ihn auf meinen Schoß und umarme ihn ganz fest. »Kriege ich noch einen Gutenachtkuss von meinem großen Stein?«, frage ich. Der Gutenachtkuss ist feucht, dann gehen Mann und Sohn ins Kinderzimmer.
Ich wäre gerne hinterhergegangen, hätte mich gerne dazugelegt, einfach um bei ihnen zu sein und nicht weiter über meine Mutter nachdenken zu müssen. Stattdessen gehe ich ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher ein. Auf einem Kanal läuft eine Diskussionsrunde. Eine Frau, sympathisch, gut gekleidet, etwa dreißig, erzählt von einem Gespräch mit ihrem Chef. Die Frau ist Reporterin für einen Radiosender und wollte mehr Geld, obwohl sie gerade erst wieder in den Job eingestiegen war – nach der Elternzeit. Ihr Chef lachte sie aus. »Als Mutter haben Sie keine Chancen«, sagt er. »Wir können Sie ja noch nicht mal spontan in ein anderes Studio schicken – weil Sie dann nicht pünktlich am Kindergarten erscheinen, um Ihr Kind abzuholen.« Die Frau wollte sich so was nicht bieten lassen und sagte, dass es auch Gesetze gebe, die ihr recht gäben. Der Chef lachte noch lauter. »Gesetze? Die gelten hier nicht!« Der Moderator schweigt, die anderen Gäste der Diskussionsrunde sehen betroffen aus. Als die Kamera aufs Publikum schwenkt, sieht man einige Leute schadenfroh grinsen.
Mein Mann kommt rein. »Kind schläft«, sagt er. Und: »Was schaust denn du an?« Ich schüttle
Weitere Kostenlose Bücher