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Kann ich gleich zurueckrufen

Kann ich gleich zurueckrufen

Titel: Kann ich gleich zurueckrufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Streidl
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beschissenes Leben. Wenn meine Beziehung zu meinem Mann deshalb in die Brüche geht, dann bin ich daran mitschuldig. Dann liegt es vielleicht auch daran, dass ich keine Zeit mehr übrig habe, um sie in unsere Beziehung zu investieren. Das muss besser werden.
    Als ich ins Bett gehe, fällt mir die Mail meiner Freundin wieder ein, in der sie das Buch des französischen Soziologen erwähnt. 37 Einzelne Abschnitte daraus hat sie in die Mail kopiert. An einer Stelle geht es um das »Unbehagen in der Arbeitswelt«, wenn ich mich recht erinnere. Das dadurch zustande kommt, dass Autonomie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Lauter Einzelkämpfer, durch nichts miteinander verbunden. Und statt Bänder zu knüpfen oder Brücken zu bauen, werden lieber Ellbogen ausgefahren oder das große Einmaleins des Mobbing ausprobiert. Das muss auch besser werden, denke ich und schlafe ein.

MONTAG
    Ich schrecke vom Klingeln meines Handys hoch. 5:15 Uhr. Meine Mutter? Als ich das Telefon in der Hand halte, verstehe ich, dass es nicht klingelt, weil ich angerufen werde. Sondern weil ich heute früher aufwachen wollte. Um meinen Mann zu verabschieden, der in einer Viertelstunde ins Taxi zum Flughafen steigt. Deshalb habe ich gestern Abend die Weckfunktion aktiviert. Ich schalte das Handy aus und brauche einen kurzen Moment, um mich zu orientieren. Montag, meine Mutter, das Krankenhaus, mein Mann, die Dienstreise, mein Kind, der Kindergarten, der Streik, das Büro. Ich bin überrascht, dass ich geschlafen habe. In der Nacht vor diesem Tag.
    Mein Mann ist schon auf, ich höre ihn im Bad. Ich bleibe im Bett liegen und versuche, wach zu werden. Dabei schlafe ich ein, wache wieder auf, als mein Mann mir einen Kuss auf die Wange gibt. »Das Taxi ist da«, sagt er. »Gute Reise«, murmle ich schlaftrunken. Als Nächstes höre ich meinen Sohn. Es ist 6:40 Uhr. Er klettert zu mir ins Bett. »Gehen wir heute in den Kindergarten?«, fragt er mich. »Nein«, sage ich. Und Guten Morgen. »Wir gehen heute zusammen in mein Büro.« Ich nehme ihn in den Arm. »Aber vorher trinkst du einen warmen Kakao.« Mein Sohn schaut mich an. »Wo ist denn der Papa?« Ich gebe ihm einen Kuss. »Der Papa muss mit dem Flugzeug ins Büro fliegen. Und kommt erst in ein paar Tagen wieder.« Der Kleine nickt. Er fragt, ob mein Mann ihm ein Geschenk mitbringt. Bestimmt, ein großes, sage ich.
    Es ist ein fast normaler Morgen: Ich ziehe meinen Sohn an und bereite das Frühstück vor. Wir frühstücken zu zweit. Mein Sohn trödelt mit den Cornflakes. Als ich ihn ermahne, sagt er: »Ich muss telefonieren. Mit dem Büro.« Und hält sich den Löffel wie ein Telefon ans Ohr. »Du sollst nicht telefonieren«, sage ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
    Ich gehe ins Bad. Unter der Dusche sage ich zehnmal: »Im Kindergarten wird gestreikt. Deshalb ist mein Sohn heute hier bei mir.« Beim Haareföhnen wiederhole ich das noch dreimal.
    Ich packe eine DVD , ein Puzzle, einen kleinen Bagger und zwei Kipplaster für meinen Sohn in die Tasche. Pünktlich um 8:15 Uhr verlassen wir die Wohnung. Wir gehen denselben Weg wie jeden Morgen, doch diesmal biegen wir nicht ab, um zum Kindergarten zu laufen, sondern steuern direkt auf die Bushaltestelle zu. »Gehen wir heute in den Kindergarten?«, fragt mein Sohn wieder. »Nein. Der Kindergarten ist heute zu. Wir gehen heute zusammen in mein Büro«, sage ich.
    Der Kleine hüpft. Er ist vergnügt und hält meine Hand fest. Mit der anderen Hand trägt er seinen Plüschhasen. Wir haben Zeit, hüpfen ein paar Schritte zusammen und gehen dann ganz langsam weiter. Wir haben so viel Zeit – selbst eine Stocksuche wäre kein Problem. Doch heute interessiert sich mein Sohn nicht für Stöcke.
    Um 8:29 Uhr steigen wir in den Bus. Mein Sohn will am Fenster sitzen. Der Bus füllt sich mit jeder Station. Ich sehe Gesichter, die müde sind. Ein Mann versteckt sich hinter einer Zeitung, eine Frau isst hastig eine belegte Semmel. Der Kleine kommentiert die Fahrgäste und das, was er durchs Fenster sieht: einen Krankenwagen, ein Taxi, eine Frau mit einem Kinderwagen, einen Mann auf einem Fahrrad. Der Bus hält am Bürogebäude an. Viele Leute stehen an der Haltestelle. Sie drängen in den Bus, als sich die Türen öffnen. »Dürfen wir bitte erst aussteigen«, sage ich laut und bahne mir einen Weg zur Tür. Den Kleinen habe ich auf den Arm genommen.
    Die Ampel ist rot. Mein Sohn drückt auf den Knopf, kurz darauf wird die Ampel grün. Wir gehen über die Straße

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