Kann ich gleich zurueckrufen
auf das Bürohaus zu. Am Empfang zeige ich meinen Ausweis und bitte den Pförtner, das Drehkreuz für mich und meinen Sohn zu öffnen. Dann stehen wir an den Aufzügen. »Tika will drücken.« Ich hebe ihn hoch, damit er den Nach-oben-Knopf erreichen kann. Es ist 8:33 Uhr. Eine Frau stellt sich zu uns, ich kenne sie vom Sehen, sie ist aus der Honorarabteilung. »Guten Morgen«, sage ich. Die Frau hält für einen ganz kurzen Moment inne, als sie den Kleinen neben mir sieht. Ich lächle sie an. Premiere: »Im Kindergarten wird gestreikt. Deshalb ist mein Sohn heute hier bei mir.« »Na, dann wünsche ich euch viel Spaß bei Mamas Arbeit«, sagt die Frau und lächelt meinen Sohn an. Der Aufzug kommt, wir steigen ein. Wieder will Tika auf den Knopf drücken. Ich hebe ihn hoch, damit er die Fünfzehn erreichen kann. »Und Sie?«, frage ich die Frau. »Zehnter Stock«, sagt sie freundlich. Tika drückt auch auf die Zehn.
Oben angekommen steuere ich als Erstes auf das Büro des Vorgesetzten zu. Er kommt erst in knapp dreißig Minuten. »Wie immer«, sagt seine Sekretärin. »Dann gebe ich Ihnen schon mal Bescheid«, sage ich. »Im Kindergarten wird gestreikt. Deshalb ist mein Sohn heute hier bei mir.« Ich lege meine Hände auf seine Schultern. Die Sekretärin nickt.
»Wie heißt du denn?«, fragt sie den Kleinen. Er wartet kurz und sagt dann: »Tika.« »Ah, Dietmar. So heißt mein Vater auch.« Sie fragt weiter. »Und wie heißt dein Hase?« Er schweigt. »Magst du was malen? Ich habe großes Papier und ganz dicke Stifte«, sagt sie dann. Er nickt. Sie holt mehrere Bogen DIN -A3-Papier aus einer Schublade und reicht ihm Textmarker in verschiedenen Farben. »Bis später«, sagt sie. »Ja, bis später«, sage ich.
Die nächste Station ist mein Büro. Die junge Kollegin sitzt bereits an ihrem Schreibtisch. Als wir vor ihr stehen, schaut sie überrascht. »Ja, hallo«, sagt sie. »Wer bist denn du?« Ich stelle ihr meinen Sohn vor und sage dann: »Im Kindergarten wird gestreikt. Deshalb ist mein Sohn heute hier bei mir.« Sie korrigiert mich. »Bei uns.« Dann sagt sie zu ihm, dass sie sich freut über seinen Besuch. Der Kleine sagt nichts. Er hält meine Hand fest und weicht keinen Zentimeter von meiner Seite.
Ich ziehe ihm die Jacke aus und hänge sie neben meine an den Garderobenständer. »Jetzt holen wir mal einen Stuhl für dich«, sage ich und nehme ihn wieder an der Hand. »Und für den Hasen«, sagt er. Wir gehen zur Teeküche. Dort holt sich die ältere Grafikerin einen Kaffee aus dem Automaten. »Guten Morgen«, sage ich. »Im Kindergarten wird gestreikt. Deshalb ist mein Sohn heute hier bei mir.« Die Grafikerin zwinkert ihm zu. »Na, dann wünsche ich euch nicht nur einen guten Morgen, sondern auch einen guten Tag hier«, sagt sie und wendet sich an mein Kind. »Wenn du später Lust hast, mit mir ein paar Fotos anzuschauen, komm vorbei. Ich hab ein paar tolle Bilder von Hubschraubern und Feuerwehrautos.« Er sagt nichts, hält meine Hand fest und drückt den Plüschhasen an seine Brust. »Gute Idee«, sage ich. Dann nehme ich einen Stuhl aus dem Abstellraum hinter der Teeküche. Wir bringen ihn zu zweit in mein Büro: Mein Sohn hält ein Stuhlbein, ich trage den Rest.
In meinem Büro hat die junge Kollegin ein kleines Büfett aufgebaut mit Reiswaffeln, Crackern und Rosinen. »Die habe ich immer in der Tasche«, sagt sie erklärend. »Weil mir dauernd schlecht ist.« Sie lächelt. Ich auch. Das Wochenende hat ihr gutgetan, denke ich. Mein Sohn nimmt sich einen Cracker und setzt sich auf den Stuhl, den ich ihm an meinen Schreibtisch geschoben habe. Neben ihm sitzt der Plüschhase. Er nimmt Papier und Stifte von der Sekretärin und fängt an zu malen. »Ich male ein Bild für die Oma«, sagt er. Ich setze mich auch an den Tisch und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Dann fahre ich meinen Computer hoch. Während ich meinen Posteingang kontrolliere, malt er. Und holt sich noch einen Cracker und eine Handvoll Rosinen.
Ich habe Glück: Heute stehen keine Termine an. Der wichtigste Punkt ist die neue Präsentation, die ich am Freitag auf den Tisch des Vorgesetzten gelegt habe. Wenn er mir die Freigabe gibt, kann ich sie im hausinternen Copyshop vervielfältigen und binden lassen. Die Rechnung an die Druckerei habe ich auch schon weitergeleitet – ein ruhiger Tag also.
Die nächsten zwei Stunden verlaufen problemlos: Ich sortiere einige Angebote von Fotografen, die sich mit ihren Bildern bei mir bewerben.
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