Kannst du mir verzeihen
effizient das Wort abschnitt.
»Natürlich gebe ich auch ihr die Schuld.« Sie fauchte das Wort »ihr« wie ein Feuer spuckender Drachen. Und dann tat sie das, was sie bereits in dem Moment tun wollte, als sie ihn vor der Tür stehen sah.
Sie machte sie wieder zu.
Mit einem lauten Knall.
Direkt vor seiner Nase.
Atemlos lauschte sie ihrem klopfenden Herzen. Nach einer Weile schlich sie sich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer und spähte hinaus.
Sie konnte ihn gerade so sehen.
Er war immer noch da.
Vor ihrer Haustür, ein, zwei Schritte von ihr entfernt.
Wahrscheinlich war er zurückgewichen, als sie die Tür zugeschlagen hatte. Sie konnte seine Fersen, seine Ellbogen und ein paar blonde Haare sehen.
Sie wartete.
Er blieb stehen.
Sie wartete weiter.
Er wiegte sich ein bisschen auf seinen Absätzen, machte aber keine Anstalten zu gehen.
»Jetzt geh schon ...«, flüsterte Hanny und machte dabei ein finsteres Gesicht.
Er blieb.
Sie zählte bis dreiÃig.
Nichts rührte sich.
Würde er überhaupt jemals wieder verschwinden?
Wollte Hanny wirklich die Luft anhalten, bis er wieder weg war?
Sie wartete weiter. Mucksmäuschenstill.
Er blieb, wo er war.
»Jetzt geh schon!«
Er rührte sich nicht.
Stand er unter Schock, weil die »liebe, nette« Hanny ausfällig geworden war? Sie hätte alles Geld der Welt darauf gewettet, dass Oliver das gerade zum ersten Mal in seinem Leben passiert war: Er war es gewöhnt, dass man ihm Türen öffnete â nicht, dass man sie ihm vor der Nase zuschlug.
Na ja. Sie würde jedenfalls nicht den ganzen Tag da herumstehen und sich seinen Rücken ansehen. Also ging sie in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen.
Als sie sein Gesicht vor dem Fenster sah, lehnte sie sich mit einem resignierenden Seufzer an die Arbeitsfläche, verschränkte die Arme und wartete. Auch er hatte also seinen Posten verlassen, aber er war leider nicht in die gewünschte Richtung abgehauen.
Widerwillig öffnete sie die Küchentür, worauf er hereinspazierte und sich demonstrativ an den Tisch setzte, als wollte er sagen: Jetzt bin ich hier, und du hörst mir zu. Widerstand zwecklos.
Kampflustig sah er Hanny an, und sie erwiderte seinen Blick. Das hielten sie eine gefühlte, fürchterliche Ewigkeit durch. Oliver konnte nur schlecht damit umgehen, dass Hanny, die sonst immer so entgegenkommend und freundlich gewesen war, nun eisern schwieg.
»Herrjemine, jetzt setz dich halt«, brach er entnervt das Schweigen.
Wenige Sekunden später fügte er ein zerknirschtes »bitte« hinzu, erhob sich, zog den gegenüberliegenden Stuhl unter dem Tisch hervor und bedeutete ihr, sich zu setzen.
Sie kam seiner Aufforderung nicht sofort nach, ignorierte ihn erst einmal, wandte sich ab, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, ohne ihm eine anzubieten, konnte dann aber doch nicht aus ihrer höflichen Haut und schenkte ihm wortlos auch eine ein. Aber statt sie ihm zu reichen, lieà sie sie neben der Kaffeemaschine stehen.
Dann setzte sie sich.
Wartete. Hielt seinen Blick aus, bis er sich seine Tasse schlieÃlich selbst holte.
»Hör zu. Ihn einfach nur komplett links liegen zu lassen und überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden ist grausam. Was vorbei ist, ist vorbei, aber du solltest wenigstens Klartext mit ihm reden. Der Ãrmste leidet wie ein Hund.«
Er leidet wie ein Hund? Klartext reden? War sie nicht deutlich genug gewesen, als sie seine Sachen aus dem Fenster geworfen hatte? Als sie sich standhaft geweigert hatte, ihn zu sehen, wenn er aufkreuzte? Als sie ihn kein einziges Mal zurückrief? Was wollte er denn noch? Sie hatte ja sogar die Schlösser auswechseln lassen! Sollte sie es mit groÃen roten Buchstaben auf die Haustür malen? Ein Flugzeug mit einem Spruchband über seine Praxis fliegen lassen?
Hanny und Bastian haben sich getrennt.
Ihre Beziehung ist beendet.
In die Brüche gegangen.
Und dafür hatte er gesorgt.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass du ihn nach so vielen Jahren wegen so einem Kleinscheià in die Wüste schickst. Was hat er denn Schlimmes getan? Hallo? Das war doch nur ein Kuss, Hanny. Ein einziger, popeliger Kuss ...«
Wenn sie diese Formulierung noch einmal hörte, würde sie schreien.
»Klar, nur ein Kuss. Ich reagiere komplett über.«
Sie war nicht sicher, ob er den Sarkasmus heraushörte und ob er überhaupt
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