Kannst du mir verzeihen
und senkte den Blick.
»Ich glaube, du gehst jetzt besser.« Sie klang genauso müde, wie sie sich fühlte. Müde von zu wenig Schlaf, von der konstanten leichten Ãbelkeit, von der Szene, die er ihr hier in ihrer geliebten Küche machte. In ihrer Stimme lag eine solche keinen Widerspruch duldende Entschlossenheit, dass er endlich mal wirklich die Klappe hielt.
Er sah sie an. Zwanzig Sekunden (Hanny zählte mit) rührte er sich nicht, dann drehte er sich um. Doch er steuerte nicht die Tür an, sondern die Kaffeemaschine.
Schenkte sich noch eine Tasse ein.
Und ihr auch.
Setzte sich wieder an den Tisch, ihr gegenüber.
Schob die eine Tasse zu ihr hinüber.
Wenig begeistert sah Hanny erst die Tasse und dann ihn an.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Der vorwurfsvolle Blick war verschwunden und etwas gewichen, das Oliver Hannys Meinung nach wohl für einen freundlichen, mitfühlenden Blick hielt. Er machte ein verkniffenes Gesicht. Am liebsten hätte sie laut gelacht, doch das war nur ein kurzer Impuls.
Jetzt sagte er mit betont ernster Stimme:
»Du weiÃt doch, dass er dich liebt.«
Dann wartete er auf ihre Antwort.
»Ich dachte, ich wüsste es«, sagte sie schlieÃlich leise.
»Du dachtest, du wüsstest es? Was soll denn der Quatsch? Du weiÃt es! Du weiÃt es ganz genau!«, empörte er sich.
Hanny lehnte sich zurück, um sich so noch mehr von ihm zu distanzieren.
»In meiner Welt tut man das, was er getan hat, einem Menschen, den man liebt, nicht an, Oliver. Wenn man jemanden liebt, ist man aufrichtig und ehrlich zu ihm. Und ja, es ist nur menschlich, ab und zu mal Mist zu bauen, aber dann beichtet man das eben und hofft, dass der andere einen genug zurückliebt, um einem zu verzeihen!«
Er lehnte sich ebenfalls in seinem Stuhl zurück.
»Du behauptest also, wenn er dir den Kuss sofort gebeichtet hätte, hättest du ihm verziehen?«
Die Frage erwischte sie kalt.
Hätte sie?
Im Nachhinein sagten sich solche Dinge immer so leicht.
Er spürte ihr Zögern, sah ihr an, wie sie überlegte, und legte schnell noch einen nach, solange sie unsicher war.
»Man kann die Sache mit dem Kuss auch anders sehen. Okay, hätte nicht passieren dürfen, ist aber passiert. Und soweit ich das verstanden habe, war sie die Hauptverantwortliche. Sagen wir achtzig â zwanzig. Sie hat sich auf ihn gestürzt, er ist nicht schnell genug weggerannt. Gut, jetzt sagst du, es geht dir sowieso mehr darum, dass sie alles getan haben, um die Sache zu vertuschen, richtig?«
Soso. Oliver war also gar nicht so schwer von Begriff, wie sie gedacht hatte. Trotzdem war sie alles andere als glücklich darüber, ihn in ihrer Küche sitzen zu haben und sich von ihm Ratschläge über ihre Beziehung anhören zu müssen.
Ihre Exbeziehung.
»Aber das hat er doch nur getan, weil er dich liebt, er wollte nicht, dass du davon erfährst und verletzt bist. Und jetzt willst du ihn dafür bestrafen, dass er dich schützen wollte?«
Hanny öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er sprach sofort weiter.
»Du sagst, er hat was falsch gemacht. Gut. Aber ist das, was du jetzt tust, etwa richtig?«
Wieder wollte sie antworten, aber er war jetzt so richtig in Fahrt. Er stand auf und lehnte sich über den Tisch hinweg zu ihr, als stünde er an einem Rednerpult und könne seinen Worten so mehr Gewicht verleihen.
»Er wollte dich schonen. Er wollte dir nicht wehtun. Das ist sein ganz natürlicher Beschützerinstinkt. Und dafür soll er jetzt hängen?«
»Mann, Mann, Mann, was soll diese Dramatik?«
Oliver erschrak sich fast zu Tode, als er die fremde Stimme hörte.
Keiner von ihnen hatte Edith bemerkt, die lautlos durch die nur angelehnte Küchentür getreten war. Seit ein paar Minuten stand sie schon da und feixte zu seinen hehren Worten herum und machte sich wortlos über alles lustig, was er sagte.
Als er sich jetzt erschrocken umdrehte, lächelte sie ihn breit und freundlich an.
»Beschützerinstinkt.« Sie lieà sich das Wort förmlich auf der Zunge zergehen. »Wenn ich das schon höre. Beschützerinstinkt geht Hand in Hand mit Besitzdenken, meine Lieben. Die meisten Männer, die was von âºBeschützerinstinktâ¹ faseln, wollen Eigentumsrechte an einer Frau geltend machen. Und in null Komma nichts entwickeln sie sich zu krankhaft
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