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Kannst du mir verzeihen

Kannst du mir verzeihen

Titel: Kannst du mir verzeihen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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einpflanzen konnte. Am Ende ihres lang gestreckten Gartens befand sich inzwischen ein richtiger kleiner Wald. Bastian hatte mal vorgeschlagen, sie könnten doch einfach den Baum vom letzten Jahr ausgraben, doch für Hanny war der kleine Hain so etwas wie das Tierheim, aus dem sie Sid geholt hatten: ein Asyl für ausrangierte Weihnachtsbäume, ein Ort, an dem sie ein schönes Leben haben konnten, nachdem sie ihre festliche Schuldigkeit getan hatten.
    Der Baum stand immer im Wohnzimmer neben dem Kamin, und sie suchte sich stets einen aus, der so groß war, dass er nur gerade so dorthin passte. Dann verbrachte sie Stunden mit dem Schmücken. Sie verzichtete gerne auf Lametta, dafür liebte sie viele bunte Lichterketten und Christbaumkugeln.
    Bastian hatte nichts zu melden. Er saß immer nur auf dem Sofa und sah ihr lächelnd dabei zu, wie sie die einzelnen Teile aufhängte, wieder abhängte, aufhängte, wieder abhängte und abermals aufhängte, bis sie restlos zufrieden war. Jedes Jahr machte sie irgendetwas anders. Vier Lichterketten und fast dreihundert Kugeln warteten auf dem Dachboden auf ihren alljährlichen glanzvollen Einsatz.
    Letztes Jahr hatte sie die bunten Kugeln so aufgehängt, dass sie den Farben des Regenbogens folgten. Wunderschön hatte das ausgesehen – selbst Edith hatte spontan eine Bemerkung in die Richtung gemacht.
    Doch in diesem Jahr war Weihnachtsschmuck wirklich das Letzte, worüber Hanny sich Gedanken machte. Wenn kein Schnee gelegen und sie nicht jeden einzelnen Tag ein kleines Geschenk bekommen hätte, wäre ihr gar nicht aufgefallen, dass Weihnachten vor der Tür stand. Sie selbst hatte noch kein einziges Geschenk eingekauft. Und auch noch kein einziges gemalt – das war nämlich ihr Vorteil als Künstlerin: Freunde und Verwandte freuten sich immer wahnsinnig über ein selbst gemaltes, signiertes Bild. Für Hanny war es eine wunderbare Möglichkeit, budgetfreundliche, aber zugleich einzigartige und sehr persönliche Geschenke zu machen. Sie fertigte jedes einzelne Bild mit so viel Sorgfalt an, dass sie die Beschenkten damit stets glücklich machte.
    Aber dieses Jahr würden sich ihre Lieben mit industriell gefertigen, typischen Weihnachtsgeschenken begnügen müssen: Socken, Körperpflege, Pralinen, Bücher, Geschenksets. Zu mehr war sie dieses Jahr nicht imstande.
    Zwei Stunden und jede Menge Socken und Körperpflegeartikel später war Hanny reif, sich hinzusetzen, die Füße hochzulegen und sich eine große Tasse Milchkaffee zu genehmigen. Doch leider kam Annie gerade erst so richtig in Schwung. Sie hatte bereits Unmengen von Geld in den netten kleinen Geschäften in der Innenstadt gelassen und durchstöberte nun das alte, seit Urzeiten von derselben Familie betriebene Kaufhaus, das das Herzstück der Einkaufsstraße war, auf der Suche nach einem »Peephole-BH für Midge«.
    Â»Ob sie einen Push-up-BH meint?«, flüsterte Hanny Edith zu.
    Â»Möglich ist alles ...« Edith grinste. »Sie steht doch sicher auf gewagte Unterwäsche ...«
    Â»Gewagte Unterwäsche? Bei Bonhams? Da ist doch alles ›gewagt‹, was nicht völlig außer Form ist.«
    Â»Du bist wohl lange nicht mehr Einkaufen gewesen, was?« Edith verdrehte die Augen. »Die führen hier inzwischen eine ziemlich gute Auswahl an sexy Dessous.«
    Â»Und das weißt du deshalb, weil ...« Hannys Mundwinkel zuckten, als sie sich Ediths üblichen Aufzug aus selbst gestricktem Pulli, grobem Leinenrock und klobigen Stiefeln ansah.
    Hanny staunte nicht schlecht, als Edith zwinkerte und konterte:
    Â»Unter dieser Schicht praktischer Kleidung verbirgt sich der Körper einer Göttin und die Unterwäsche einer 1-A-Stripteasetänzerin.« Das sagte sie so laut, dass ein älterer, mit Strumpfbändern hantierender Herr sich einen Moment setzen musste, um sich wieder zu fangen.
    Fast hätte Hanny sich neben ihn gesetzt, aber stattdessen machte sie sich auf den Weg, ihre Großmutter zu suchen.
    Â»Wo ist sie denn jetzt schon wieder?«, regte sie sich auf, nachdem sie die gesamte Wäscheabteilung durchstreift hatte. Also wirklich, mit Annie in einem Kaufhaus zu sein war schlimmer als mit einem Kleinkind in Disneyland.
    Â»Da drüben bei den Slips ouverts ...« Edith war wirklich ausgesprochen ausgelassener Stimmung. Das musste daran liegen,

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