Kanonenfutter
chaotisch vollgestopft mit vielerlei Dingen; von den zwanzig Zwölfpfündern auf ihrem Oberdeck bis zu den kleineren Stücken weiter achtern schien jeder Quadratzoll sinnvoll genutzt. Da lagen und hingen sauber aufgeschossene Schoten, Fallen und Brassen, standen in ihren Klampen festgezurrte Beiboote und exakt ausgerichtete Musketen in ihren Gestellen am Fuß jedes Mastes, während dazwischen und überall sonst, wo noch Platz war, Männer hantierten, die er alle bald namentlich kennen würde.
Ein Leutnant trat zwischen den Fallreepsgästen vor und fragte: »Mr. Bolitho?«
Bolitho rückte seinen Hut zurecht. »Aye, Sir. Melde mich an Bord!« Der Leutnant nickte nur kurz. »Folgen Sie mir. Ihre Sachen lasse ich nach achtern bringen.« Er gab einem Matrosen eine leise Anweisung und rief dann laut: »Mr. Timbrell! Schicken Sie ein paar Leute in den Vortopp! Es sah da oben aus wie in einem Affenstall, als ich das letztemal nachschaute.«
Bolitho zog im letzten Augenblick den Kopf ein, als sie unter den Überhang des Achterdecks traten. Auch hier schien ihm alles eng und überfüllt: noch mehr Kanonen, jede sorgsam hinter ihrer geschlossenen Stückpforte festgezurrt, dazu der Geruch von Teer und Tauwerk, frischer Farbe und eng zusammengedrängten Menschen – das Flair eines lebenden Schiffes.
Er versuchte, den Leutnant, der ihn nach achtern zur Offiziersmesse führte, abzuschätzen. Er war schlank, hatte ein rundes Gesicht und den etwas gequälten Ausdruck eines Mannes, der zeitweise Verantwortung trägt.
»Da wären wir.«
Der Leutnant öffnete eine Lamellentür, und Bolitho trat in sein neues Heim. Trotz der Zwölfpfünder mit ihren schwarzen Mündungen, die daran erinnerten, daß es an Bord eines Kriegsschiffes keinen Platz gab, der vor herumfliegendem Eisen sicher war, sah der Raum überra schend gemütlich aus. Er enthielt einen langen Tisch wie in einem Kadettenlogis, aber mit hochlehnigen Stühlen statt der Bänke, wie er sie jahrelang gewohnt gewesen war. Dann gab es Wandgestelle für Trinkgläser, andere für Säbel und Pistolen, und der Fußboden war mit bemaltem Segeltuch bespannt.
Der Leutnant wandte sich zu Bolitho um und musterte ihn aufmerksam. »Ich heiße Stephen Rhodes und bin der Zweite Offizier.« Er lächelte und wirkte dadurch jünger, als Bolitho ihn eingeschätzt hatte.
»Da dies Ihr erstes Kommando als Offizier ist, will ich versuchen, es Ihnen so leicht wie möglich zu machen. Nennen Sie mich Stephen, wenn Sie wollen, aber vor den Leuten ›Sir‹.« Rhodes wandte den Kopf und rief: »Poad!«
Ein kleiner hagerer Mann in blauem Jackett huschte durch eine andere Tür herein.
»Bringen Sie Wein, Poad. Dies ist unser neuer Dritter Offizier.« Poad machte eine kleine Verbeugung. »Ist mir ein Vergnügen, Sir.« Als er davoneilte, bemerkte Rhodes: »Ein guter Steward, aber er klaut. Sie lassen also besser nichts Wertvolles herumliegen.« Er wurde wieder ernst. »Unser Erster Offizier ist in Plymouth, hat da irgendwas zu erledigen. Er heißt Charles Palliser. Anfangs wirkt er etwas barsch.
Er ist schon seit Indienststellung der Destin y mit unserem Kommandanten an Bord.« Unvermittelt wechselte er das Thema. »Sie können froh sein, dieses Kommando bekommen zu haben.« Es klang wie ein Vorwurf. »Sie sind noch sehr jung. Ich bin dreiundzwanzig und nur darum schon Zweiter Offizier, weil mein Vorgänger umgekommen ist.«
»Im Kampf gefallen?«
Rhodes grinste. »Nein, nichts Heroisches. Er wurde von einem Pferd abgeworfen und brach sich das Genick. Ein prima Bursche in seiner Art, aber so ist es nun einmal.«
Bolitho beobachtete den Messe-Steward, der Gläser und eine Flasche in Reichweite von Rhodes abstellte. Er sagte: »Ich war selber überrascht, als ich diese Kommandierung bekam.«
Rhodes sah ihn forschend an. »Das klingt nicht sehr begeistert. Sind Sie nicht gern zu uns gekommen? Mann, es gibt Hunderte, die vor Freude an die Decke springen würden, wenn sich ihnen eine solche Chance böte.«
Bolitho schaute weg. Ein schlechter Anfang.
»Das ist es nicht. Aber mein bester Freund wurde vor einem Monat getötet.« Jetzt war es heraus. »Ich kann es immer noch nicht glauben.« Rhodes’ Blick wurde milder; er schob ihm ein Glas hin.
»Tr inken Sie, Richard. Das wußte ich nicht. Manchmal kann ich es nicht begreifen, warum wir all dies hier auf uns nehmen, anstatt – wie andere – bequem an Land zu leben.«
Bolitho lächelte ihn an. Außer seiner Mutter zuliebe hatte er in letzter
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