Kanonenfutter
schwirrten herbei und flogen gegen das heiße Glas. Ihm taten die weniger begünstigten Menschen auf der Insel leid, wenn selbst der Gouverneur vom Fieber gepackt werden konnte.
Vor der nur lose schließenden Tür knarrten die Bodenbretter, und Stockdale schaute herein. Er war mit sechs weiteren Männern an Land gekommen, um ein »wachsames Auge auf Wind und Wetter« zu haben, wie er es ausdrückte.
Mit seiner keuchenden Stimme meldete er: »Alles eingeteilt, Sir. Wir gehen abwechselnd Wache. Josh Little übernimmt die erste.« Er lehnte sich gegen den Türrahmen, und Bolitho hörte, wie das Holz protestierend knarrte. »Ich habe zwei Leute an dem anderen Haus postiert. Es ist ganz ruhig dort.«
Bolitho dachte daran, wie Aurora ihn angesehen hatte, als sie und ihr Mann von Bedienten des Gouverneurs eilig in den Nachbarbungalow geleitet wurden. Sie schien beunruhigt, verängstigt durch den plötzlichen Wechsel der Ereignisse. Es hatte geheißen, Egmont besäße Freunde in Basseterre, aber man hatte ihm nicht erlaubt, sich zu ihnen zu begeben; statt dessen war er immer noch ihr Gast. Oder besser: ihr Gefangener.
Bolitho sagte: »Gehen Sie schlafen.« Er berührte seine Narbe und zog eine Grimasse. »Mir ist, als wäre das erst heute geschehen.«
Stockdale grinste. »Saubere Arbeit, Sir. Ein Glück, daß wir den alten Knochensäger hatten.«
Er trollte sich nach draußen, und Bolitho hörte ihn leise vor sich hin pfeifen, als er einen Platz fand, an dem er sich ausstrecken konnte. Seeleute vermochten überall zu schlafen.
Bolitho legte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte in die Schatten jenseits der nur schwach brennenden Flamme.
Es war alles vergebens gewesen. Garrick hatte die Insel bestimmt schon verlassen. Er mußte besser unterrichtet gewesen sein, als Dumaresq vermutete. Nun konnte er sich ins Fäustchen lachen, wenn er an die britische Fregatte und ihre spanische Begleiterin dachte, die da unschlüssig vor Anker lagen, während er… Bolitho fuhr mit einem Ruck hoch und griff nach seiner Pistole, als die Planken vor der Tür wieder knarrten. Er beobachtete, wie sich der Türgriff senkte, und fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als er die Entfernung schätzte und überlegte, ob er schnell genug auf die Füße kommen konnte, um sich zu verteidigen.
Die Tür öffnete sich einige Zentimeter, und er sah ihre schmale Hand am Rand.
In Sekunden war er aus dem Bett. Als er die Tür ganz aufzog, hörte er sie flüstern: »Bitte, mach das Licht aus!«
Einen verwirrenden Augenblick lang hielten sie einander hinter der wieder geschlossenen Tür umschlungen. Außer Auroras heftigen Atemzügen gab es keinen Laut. Bolitho wagte nichts zu sagen, aus Angst, damit den unglaublichen Traum zu vertreiben.
Sie flüsterte: »Ich mußte kommen. Es war schon schlimm genug auf dem Schiff. Aber zu wissen, daß du hier bist, während…« Mit leuc htenden Augen schaute sie zu ihm auf. »Verachte mich nicht, weil ich schwach geworden bin.«
Bolitho hielt sie fest an sich gedrückt, fühlte ihren Körper durch das lange dünne Gewand und wußte, daß sie verloren waren. Mochte die Welt jetzt in Stücke fallen – nichts konnte ihnen diesen Augenblick nehmen.
Wie Aurora an den Posten vorbeigekommen war, schien ihm unbegreiflich, aber es kümmerte ihn nicht. Doch dann fiel ihm Stockdale ein. Daran hätte er gleich denken sollen.
Seine Hände zitterten heftig, als er sie an den Schultern hielt und ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Hals küßte.
»Ich helfe dir.« Sie löste sich etwas von ihm und ließ ihr Gewand zu Boden fallen. »Nimm mich in deine Arme…«
In der Dunkelheit zwischen den beiden kleinen Bungalows lehnte Stockdale sein Entermesser gegen einen Baum und setzte sich daneben. Er beobachtete, wie das Mondlicht die Schwelle der Tür beleuchtete, die er vor einer Stunde sich hatte öffnen und wieder schließen gesehen, und dachte an die beiden, die jetzt beisammen waren. Für den Leutnant war es wahrscheinlich das erstemal, dachte Stockdale wohlwollend. Er hätte keine bessere Lehrerin finden können, das war gewi ß.
Lange vor Anbruch der Morgendämmerung schlüpfte Aurora leise aus dem Bett und zog sich an. Einen Augenblick noch schaute sie auf die blasse, in tiefem Schlaf liegende Gestalt nieder und strich dabei über ihre Brust, wie er es getan hatte. Dann bückte sie sich und küßte ihn leicht auf den Mund. Seine Lippen schmeckten salzig, vielleicht von ihren Tränen. Ohne noch
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