Kanonenfutter
Segeln bewegungslos in einer Flaute.
Weit weg an Steuerbord sah man den vagen Umriß einer Insel, aber sonst hatten sie den Ozean allein für sich. Es war so heiß, daß die Füße an den Decksnähten klebenblieben und die Kanonenrohre sich anfühlten, als hätten sie eine Schlacht hinter sich.
Gulliver sagte: »Bei einem nördlicheren Kurs hätten wir mehr Glück mit dem Wind gehabt, Sir.«
»Das weiß ich selbst, verdammt noch mal.« Dumaresq wandte sich ihm erbost zu. »Aber wir wären vielleicht auf ein Korallenriff gelaufen. Wollten Sie das riskieren? Wir sind eine Fregatte und kein flaches Fischerboot.«
Den ganzen Tag über und auch noch den halben nächsten rollte das Schiff unbehaglich in der schwachen Dünung. Ein Haifisch glitt vo rsichtig um ihr Heck, und einige Matrosen versuchten ihr Glück mit einem großen Angelhaken.
Dumaresq schien das Deck überhaupt nicht mehr verlassen zu wo llen. Als er an Bolitho während dessen Wache vorbeiging, sah er, daß sein Hemd schweißgetränkt war; auf seiner Stirn hatte sich eine Blase gebildet, die er aber nicht zu bemerken schien.
Als die Nachmittagswache zur Hälfte um war, tastete der Wind sich wieder über die glitzernde Wasserfläche an sie heran, aber mit ihm kam eine Überraschung.
»Schiff, Sir! An Backbord achteraus!«
Dumaresq und Palliser beobachteten, wie die bräunliche Segelpyramide über den Horizont stieg. Das große rote Kreuz auf der Breitfock hob sich deutlich ab und beseitigte alle Zweifel.
Palliser rief erbittert: »Der Don, Gott strafe ihn!«
Dumaresq ließ mit versteinertem Blick das Glas sinken.»Fitzpatrick! Er muß es ihnen verraten haben. Sie sind auf Blut aus.« Er sah seinen Ersten Offizier an. »Wenn Don Carlos Quintana sich jetzt einmischt, wird es aber sein eigenes Blut kosten!«
»An die Brassen und Schoten!«
Die Destin y erbebte und legte sich kräftig vor die auffrischende Brise. Mit neuerwachter Kraft warf sie Wolken von Gischt an ihrer we ißen Galionsfigur hoch.
Dumaresq sagte: »Lassen Sie die Leute an den Geschützen exerzieren, Mr. Palliser.« Er starrte achteraus auf das andere Schiff. Es schien schon viel näher gekommen zu sein.
»Und setzen Sie bitte unsere Flagge. Ich will nicht, daß uns der ve rdammte Spanier in die Quere kommt.«
Rhodes dämpfte seine Stimme. »Und das meint er ernst, Richard. Dies ist sein großer Augenblick. Er wird lieber sterben, als ihn zu teilen.«
Einige Leute auf dem Achterdeck sahen einander an und machten ängstliche Bemerkungen. Die eingefleischte Verachtung, mit der sie jede andere Marine außer der eigenen beurteilten, war nach dem langen Aufenthalt in Basseterre etwas erschüttert. Die San Augustin besaß mindestens vierundvierzig Kanonen, die Destiny dagegen nur achtundzwanzig.
Dumaresq schimpfte: »Bringen Sie diese Tölpel auf Trab, Mr. Palliser! Unser Schiff entwickelt sich langsam zu einem Saustall!«
Einer von Bolithos Geschützführern flüsterte: »Ich dachte, wir wären nur hinter einem Piraten her?«
Stockdale zeigte grinsend die Zähne. »Feind ist Feind, Tom. Seit wann macht die Flagge einen Unterschied?«
Bolitho biß sich auf die Lippen. Was jetzt kam, war ein Musterbeispiel für die schwere Verantwortung eines Kommandanten. Wenn Dumaresq nichts unternahm, konnte er wegen Unfähigkeit oder Feigheit vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Wenn er mit dem Spanier ins Gefecht kam, konnte man ihn beschuldigen, einen Krieg provoziert zu haben.
Er sagte: »Macht euch bereit, Leute. Löst die Zurrings.« Stockdale hatte recht: Ihre einzige Sorge sollte es sein, zu gewinnen.
Bevor die Sonne am nächsten Morgen über den Horizont gestiegen war, wurden die Leute zum Frühstück und dann zum Deckwaschen geschickt.
Der Wind war leicht, aber stetig und hatte über Nacht auf Südwest gedreht.
Dumaresq war ebenso früh an Deck wie alle. Bolitho bemerkte die Ungeduld, mit der er immer wieder über das Achterdeck wanderte, einen Blick auf den Kompaß oder die Schiefertafel mit den Eintragungen des Steuermanns warf. Wahrscheinlich nahm er nichts davon wahr; aus der Art, wie Palliser und Gulliver ihm freie Bahn ließen, entnahm Bolitho, daß sie ihre Erfahrungen mit dieser Stimmung ihres Kommandanten hatten.
Zusammen mit Rhodes beobachtete Bolitho, wie der Oberbootsmann seine Arbeitsgruppen einteilte. Die Tatsache, daß ein weit überlegenes Kriegsschiff ihnen achteraus folgte und daß eine wenig bekannte Insel vor ihnen lag, änderte nichts an Mr. Timbrells
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