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Kantaki 01 - Diamant

Kantaki 01 - Diamant

Titel: Kantaki 01 - Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Möglichkeiten: dunkle und helle Materie, superdichte und superleichte, positiv, negativ oder neutral. In jedem Kosmos des Plurials enthielt die Gleichung der Welt andere Konstanten und Variablen, und dadurch führte die Entwicklung in andere Richtungen. In manchen Universen kühlte das primordiale Gas ab, ohne zu Galaxien zu verklumpen. In anderen dehnten sich Zeit und Raum so schnell aus, dass die Dichte der Materie immer mehr abnahm, bis sie nicht mehr ausreichte, um Sterne zu bilden. Oder eine besondere quantenmechanische Matrix ermöglichte nukleare Reaktionen nur für wenige Sekunden, wodurch verklumpte Materie sofort explodierte.
    Der Geist erprobte alle Straßen des Seins, ließ keine Möglichkeit außer Acht und teilte sich bei Abzweigungen, um jede Alternative zu erkunden. Er suchte nach der Existenzform, die sich für sein Ziel am besten eignete: Erkenntnis.
     
    Lidia seufzte leise im Schlaf, der schon Stunden dauerte und dabei immer tiefer zu werden schien. Sie vernahm nicht mehr nur die flüsternden Stimmen in den Wänden, sondern »hörte« auch die Gedanken der ungeborenen Kantaki. Sie waren wie das sanfte Plätschern eines Gebirgsbaches: kaltes klares Wasser, das über abgeschliffene Steine strömte, vorbei an den letzten Resten des Winterschnees, alles sauber, alles rein. Alles jung, zum Wachsen bereit, wie der kondensierte Geist.
    Lidia erinnerte sich an etwas, und ihre Augen bewegten sich hinter den gesenkten Lidern. Sie haben es nicht nötig, an Gott zu glauben. Sie wissen, dass Gott existiert. Diese Worte waren vor langer Zeit geschrieben worden, von einem terranischen Philosophen. Der Geist, der alles durchdringt, der von außen kam, um von innen zu wachsen. Ein zu Materie kondensierter Geist, überall präsent, auch in den Kantaki. Und die Kantaki wussten von ihm. Er stand im Zentrum ihrer Kultur. Wenn sie mitten im Transraum meditierten, im Sakrium, hielten sie Zwiesprache mit ihm.
    Die noch formlosen Gedanken der ungeborenen Kantaki sangen ein subliminales Lied mit der Melodie, zu der sich das Flüstern aus den Wänden des Raums vereinte. Und die schlafende Lidia spürte, wie die mentale Distanz schrumpfte, wie sie Aufnahme fand in den Kreis der noch formlosen Bewusstseinssphären. Mutter Krirs Kinder akzeptierten sie als eine von ihnen – sie hätten ihr keine größere Ehre erweisen können.
     
    Das nächste Kosmische Zeitalter, die Dritte Ära, stand im Zeichen der Reife. Während der kondensierte Geist überall im Plurial Myriaden Entwicklungswege beschritt, hatte er sich in manchen Universen für Elementarteilchenstrukturen und physikalische Gesetze entschieden, die bewirkten, dass die Abkühlung des primordialen Plasmas zur Entstehung von Sternen und Galaxien führte. Zeit spielte für den zu Materie gewordenen Geist keine Rolle; eine Sekunde bedeutet ihm ebenso viel und ebenso wenig wie hundert Millionen Jahre. Zeit war nichts weiter als ein Werkzeug, das ihm Erkenntnis gestattete. Er wartete und beobachtete, erlebte und erfuhr.
    Und dann bildete sich erstes Leben.
    Der Geist begriff sofort, dass er damit einen wichtigen Entwicklungsschritt vollzogen hatte. Das Leben entstand als logische Konsequenz aus bestimmten äußeren Bedingungen, als eine notwendige, unausweichliche Folge von evolutionären Konditionen des Universums. Wenn die Voraussetzungen stimmten, musste Leben entstehen: Aus Quantität wurde Qualität – die Materie erreichte ein höheres Organisationsniveau.
    Der kondensierte Geist war zu Materie geworden, auf der Suche nach Erkenntnis, und aus der Materie entwickelte sich neuer Geist, als Funktion der Materie selbst.
    Entwicklung des Lebens und Reife bestimmten das dritte und längste der Großen Kosmischen Zeitalter.
     
    Seit zwei Tagen schlief Lidia, aber inzwischen war es kein Schlaf der Erschöpfung mehr. Der Körper hatte seine Kräfte erneuert, ebenso wie der Geist, doch Letzterer blieb neugierig und Teil der Gemeinschaft der ungeborenen Kantaki und des melodischen Flüsterns. Eine andere Erinnerung erwachte in ihr, und sie hörte Worte aus der Vergangenheit, gesprochen von Feydor: Ich habe Gott gesehen. Ich habe ihn tatsächlich gesehen. Aber … er sah anders aus, als ich dachte.
    Was hatte Feydor damals gesehen, bei der Berührung der fünf Steine mit den Heiligen Worten der Kantaki? Nicht seinen Gott, sondern einen anderen, unerwarteten. War es zu einer Begegnung mit dem Geist gekommen, der alles durchdrang?
     
    Das Vierte Kosmische Zeitalter war die Ära

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