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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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von ihm gewonnen. Ein skrupelloser Mann. Wer weiß, was er mit Raimon anstellt, wenn er ihn findet.«
    »Raimon ist mein Novize«, sagte Eklund mit fester Stimme. »Ich werde ihn schützen.«
    »Sie braucht mich.« Raimon schwang die Beine über den Rand der Liege, stand auf und ging zur Tür.
    Eklund steckte den Zylinder ein und folgte dem Jungen. »Mir scheint, Raimon will nicht hier warten.«
    »Wir sprechen miteinander, sobald wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt ist. Passt gut auf euch auf!« Die letzten Worte rief Elisabeth, denn der Junge eilte bereits durch den Flur, gefolgt von Eklund, der sich dabei auf seinen Gehstock stützte und versuchte, Raimon in dem Durcheinander aus Ärzten, Pflegepersonal und Patienten nicht aus den Augen zu verlieren.
     
    Bruder Eklund und sein Novize wanderten durch eine Stadt, in der Aufruhr herrschte. Immer wieder kamen sie an den Wracks abgestürzter Levitatorwagen vorbei, und Blutspuren auf dem Boden deuteten darauf hin, dass ihre Insassen verletzt oder gar getötet worden waren. Niemand schien zu Hause zu sein und zu schlafen. Alle Bewohner der Stadt waren hellwach und auf den Beinen, standen auf Straßen und Plätzen, sprachen über die seltsamen Visionen oder Halluzinationen, die einige von ihnen erlebt hatten. Eklund hörte nur Gesprächsfetzen. Hier und dort wäre er gern stehen geblieben, um zuzuhören oder an den Gesprächen teilzunehmen, aber Raimon zog ihn sofort weiter, wenn er zögerte, angetrieben von einer Ruhelosigkeit, die ihn zum Hafen von Chiron führte.
    Es hatte aufgehört zu regnen. Der Himmel klarte auf; die Lücken zwischen den Wolken wurden immer größer. Funkelnde Sterne erschienen, und bald leistete ihnen einer der beiden Monde von Kerberos Gesellschaft. Sein Licht fiel auf das Riffmeer und schien es in Silber zu verwandeln.
    »Dort draußen«, sagte Raimon und streckte den Arm aus.
    »Was ist dort draußen?«, fragte Eklund.
    Der Junge deutete über die Boote und Schiffe hinweg. »Sie ist dort draußen. Sie braucht mich.«
    Jenseits des Mündungsdeltas glühten und flackerten die Lichter der künstlichen Insel des Autokraten. Eklund beobachtete sie einige Sekunden lang, ging dann in die Hocke und sah Raimon an. »Wen meinst du? Wer braucht dich, Raimon?«
    »Ich…« Wieder veränderte sich Raimons Gesicht auf sonderbare Weise. »Ich weiß, dass sie mich braucht, aber ich… kann nicht zu ihr. Die Stimmen hindern mich daran. Sie halten mich von ihr fern. Sie wollen, dass ich töte.«
    »Versuch einmal, nicht auf die Stimmen zu achten«, sagte Eklund. »Konzentriere dich auf sie, die dich braucht. Vielleicht kannst du sie dann besser erkennen.«
    Raimon nickte. Er schloss nicht die Augen, blickte auch weiterhin in die Ferne.
    Die Textur der Welt veränderte sich. Ein Teil der Realität schien zu zerfasern und auszufransen, sich mit einer anderen, normalerweise nicht greifbaren Wirklichkeit zu verbinden. Eklund sah Meer, Delta und die vielen Lichter der Stadt, hörte die an die Kaimauer klatschenden Wellen, das Knarren der schaukelnden Boote – es weckte Erinnerungen an das leere Segelschiff –, und das Summen von Levitatoren. Er hörte den Herzschlag der lebendigen Stadt, und gleichzeitig, wie ein Bild, das ein anderes überlagerte, sah er ockerfarbenes Ödland und darin weiße Spindeltürme, uralt und doch ohne das geringste Anzeichen von Verwitterung. Dort, wo die Abstände zwischen den Türmen größer wurden, wo sie zurückzuweichen schienen, stand das Podest, in der realen Welt – in der Welt, die Eklund für real hielt – mitten im Hafenbecken. Eine Gestalt saß dort. In der Dunkelheit konnte Eklund keine Einzelheiten erkennen, aber er hatte die Silhouette aus der Nähe gesehen: eine alte Frau, gekleidet in ein blauschwarzes, fleckiges Gewand, das faltige Gesicht leer, ohne Augen, Nase und Mund.
    »Meinst du sie?«, fragte Eklund. »Braucht sie deine Hilfe?«
    »Ich kann nicht zu ihr.« Es klang unsäglich traurig. »Von hier aus kann ich nicht zu ihr. Aber sie braucht mich. Sie hat so lange auf mich gewartet. Sie braucht mich jetzt, denn der andere erwacht.«
    Eklund richtete sich mühsam mithilfe des Gehstocks auf. Der Schmerz im Rücken war stärker geworden. »Der andere?«
    Raimon drehte den Kopf und sah Eklund an. »Die zweite Seele von Kerberos.«
    »Bleiben Sie dort stehen«, ertönte eine Stimme hinter ihnen.
    Eklund sah sich erstaunt um, und sein Blick fiel auf zwei Sekuritos. Einer von ihnen näherte sich; der andere blieb beim

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