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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ein toter Körper füllte sich mit neuem Leben.
    Der Vorgang begann langsam, doch mit jeder umgewandelten, reprogrammierten Zelle wurde er schneller, wie eine Lawine, die mit immer höherer Geschwindigkeit den Berghang hinunterstürzte. Die Sekuritos der beiden inzwischen gelandeten Levitatorwagen bemerkten davon nichts. Ihre Aufmerksamkeit galt zunächst den beiden jungen Leuten im Fahrzeug, und das gab dem Etwas einige zusätzliche Sekunden Zeit, seine bisher komplexeste Aufgabe zu bewältigen: die Übernahme des Gehirns. Es fand fremde Erinnerungsspuren und fügte sie den eigenen Memoranten hinzu, schuf neue neuronale Verbindungen, um fremde Erlebnisse, Beobachtungen und Erfahrungen zu bewahren. Der Tod des Menschen lag einige Minuten zurück, und der Sauerstoffmangel beeinträchtigte bereits die memorialen Strukturen. Das Etwas folgte den Anweisungen des Grundprogramms, indem es versuchte, möglichst viel zu erhalten.
    Das Gehirn wurde zu einem integralen Bestandteil des Etwas und ermöglichte es ihm zu denken, ein eigenes Selbst zu entwickeln. Der erste Gedanke lautete: Ich lebe.
    »Was ist mit dem Jungen dort drüben?«, fragte einer der Sekuritos.
    Ein anderer wandte sich von dem Fahrzeug mit den Erschossenen ab und näherte sich. »Ziemlich viel Blut«, brummte er. »Eine Wunde in der Brust. Ich glaube, er ist ebenfalls hinüber.«
    Der Mann ging in die Hocke, nahm die Hand des Jungen und tastete nach dem Puls.
    Das reparierte Herz schlug.
    »He, er lebt!«, entfuhr es dem Sekurito überrascht. »Verständigt den Rettungsdienst. Er muss sofort zum nächsten Krankenhaus gebracht werden.«
    Aus dem Etwas war eine Person geworden.
     
     
Tintiran · 3. Planet des Mirlur-Systems
15. April 421 SN
     
    Lukert Turannen blieb auf der großen Terrasse vor der Levitatorvilla stehen und blickte auf die Stadt Bellavista hinab, von der ihn ein langer, mit üppigem Grün bewachsener Hügelhang trennte. Die Stadt wirkte nicht aufdringlich, sondern eher diskret, fast wie ein Teil der natürlichen Landschaft. Kleinere und größere Parks luden Passanten zum Verweilen ein. Am teilweise felsigen Ufer erstreckte sich eine lange Promenade, und jenseits davon spiegelte sich der Sonnenschein auf dem Scharlachroten Meer wider. Boote schaukelten an den Anlegestellen auf den Wellen, und alles wirkte sehr friedlich. Tintiran, dritter Planet des Mirlur-Systems, zentraler Sektor des Konsortiums – oder dessen, was vom Konsortium übrig war. Aus dieser Entfernung waren die Truppen der Allianz in der Stadt nicht zu erkennen, aber Turannen wusste, dass sie dort unten patrouillierten. Enbert Dokkar, Leiter der Allianz, hatte sie angewiesen, Zurückhaltung zu üben, und Turannen rechnete damit, dass sie bald ganz verschwanden – die Lage war längst unter Kontrolle. Der von Valdorian, Primus inter Pares des Konsortiums, begonnene Krieg hatte mit der Übernahme hunderter von Konsortiumswelten durch die Allianz geendet. Fast überall ging es so zu wie auf Tintiran: Es wurde längst nicht mehr gekämpft; man ging zur Tagesordnung über, besann sich wieder auf Geschäft und Profit. Es gab nur noch wenige Widerstandsnester; sie zählten kaum.
    »Valdorian…«, sagte Turannen leise. »Er hat hier gestanden«, wandte er sich an seinen Sekretär Amadeus, der wie ein Schatten nicht von seiner Seite wich und auf Anweisungen wartete, ein kleiner, wieselartiger Mann, der alle Bemerkungen ignorierte, die keine Aktivität von ihm verlangten. »Er hat diese Luft geatmet und von hier aus über die Stadt gesehen. Dies war seine Welt.« Turannen seufzte leise. »Jetzt gehört sie mir.« Als Oberhaupt der Konzerngruppe New Human Design, die zum Konsortium gehörte, hatte er über viele Jahre hinweg darauf hingearbeitet, den verhassten und beneideten Valdorian eines Tages als Primus inter Pares abzulösen. Doch dann, kurz vor der entscheidenden Sitzung des Consistoriums, die den neuen Primus wählen sollte, begann Valdorian einen wahnwitzigen Krieg gegen die Allianz – ein Krieg, der nach der verheerenden militärischen Niederlage im Epsilon-Eridani-System nicht mehr gewonnen werden konnte. Es war Turannen nichts anderes übrig geblieben, als sich mit der Allianz zu arrangieren. In gewisser Weise sah er sich als Nachlassverwalter Valdorians, und es gab schlechtere Positionen, von denen aus man den Weg nach oben, nach ganz oben, fortsetzen konnte.
    »Wussten Sie, dass sich das Valdorian-Mausoleum hier auf Tintiran befindet?«, fragte Turannen, ohne eine

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