Kantaki 02 - Der Metamorph
Nur kalte Vernunft und jede Menge Disziplin hinderten Emmerson daran, aufzuspringen und zu versuchen, Valdorian zu überwältigen. Damit hätte er die drei Soldaten auf den Plan gerufen, und gegen sie und ihre Waffen konnte er nichts ausrichten.
Nicht zum ersten Mal dachte er über seine Situation nach, und nicht zum ersten Mal gelangte er zu dem Schluss, dass er warten musste, obwohl Warten bedeutete, dass sie sich dem grässlichen Etwas näherten. Er musste sich in Geduld fassen, in der Hoffnung, dass sich eine Gelegenheit zur Flucht ergab.
»Warum haben Sie mich mitgenommen?«, fragte er.
Valdorian sah ihn an und durch ihn hindurch. »Wir sind bald da. Ich spüre es.«
Emmerson sah nach draußen. Das Meer blieb nur dort nicht schwarz, wo das Licht der Scheinwerfer die Dunkelheit durchdrang. Vor dem inneren Auge präsentierte sich eine andere Art von Finsternis, in einem Schacht: Ein Beleuchtungsservo fiel hinein, doch etwas saugte sein Licht auf, flirrte, kam nach oben…
»Warum haben Sie mich mitgenommen?«, fragte er erneut. »Sie brauchen mich doch gar nicht.« Wobei auch immer.
Valdorians Blick kam aus der Ferne zurück. »Sie waren neugierig«, sagte er. »Und Sie sind es noch immer. Sie sollen alles sehen. Und vielleicht brauche ich Sie doch, wer weiß?«
» Was soll ich sehen?«
Die Anzeigen veränderten sich, und der Meeresgrund erschien im Licht der Scheinwerfer. Seltsamerweise verharrte das Tauchboot dicht darüber.
»Das Ziel befindet sich nicht bei den angegebenen Koordinaten«, ertönte die synthetische Stimme des Datenservos.
Emmerson blickte verwundert auf die Displays. Valdorian wirkte ganz und gar nicht überrascht, deaktivierte den automatischen Modus des Navigationsservos und übernahm selbst die Steuerung. Das Summen der Motoren wurde lauter, als sich das Tauchboot wieder in Bewegung setzte. Emmerson wartete vergeblich darauf, dass das Sonar die drei unterschiedlich großen Kuppeln erfasste, doch die Station des Autokraten existierte anscheinend nicht mehr. Was sich an ihrer Stelle befand, konnten die Sensoren offenbar nicht identifizieren, denn die Displays zeigten widersprüchliche Daten. Emmerson sah von den Anzeigen auf, blickte nach draußen und versuchte, in der Finsternis etwas zu erkennen. Tief in seinem Innern bildete sich ein Knoten der Anspannung, in dem sich alle negativen Empfindungen verdichteten und zu einem Klumpen der Angst wurden.
Wirre Muster strichen durch die pseudorealen Darstellungsfelder, begleitet von Datenkolonnen, die sich immer wieder änderten. Was auch immer den Platz der drei Kuppeln einnahm: Es war nicht statisch, sondern in ständiger Veränderung begriffen.
Schließlich erschien etwas im Licht der Scheinwerfer, etwas, das noch dunkler war als die Finsternis des Meeres, wie ein Schatten innerhalb eines Schattens, wenn das einen Sinn ergab. Edwald Emmerson starrte hinaus in den Ozean und sah etwas, das ihn an die fraktalen Muster der La-Kimesch erinnerte. Die Struktur der dunkleren Finsternis in der Dunkelheit wiederholte sich im Kleinen wie im Großen, ging ineinander über, reproduzierte sich. Und sie wuchs, quoll aus dem Meeresboden, dehnte sich nach oben und zu den Seiten aus.
Emmerson glaubte sich von einer Kälte berührt, die dem absoluten Nullpunkt im All nahe kam. »Die temporale Anomalie«, sagte er leise.
»Nein«, widersprach Valdorian. »Das Artefakt.«
Gedanken wie Stimmen, die unablässig flüsterten und raunten, sich gegenseitig überlagerten. Alte Absichten und neue, die ineinander übergingen, sich ablösten und erweiterten. Es ist so weit, endlich ist es so weit, was ist so weit, warum bin ich hier, was ist mit dem Metamorph, hat er mich nicht nach Kerberos gebracht, der Metamorph ist nicht wichtig, es geht um das Artefakt, es geht um ihn, den Keim, alles andere zählt nicht, lass dich nicht ablenken, steuere das Boot näher, ja, ich steuere es näher, deshalb bin ich hier, alles andere hat keine Bedeutung…
Tief unten in Valdorians Selbst, in den Kellergewölben seines Ichs, regte sich etwas Ureigenes, von Hartnäckigkeit, Ehrgeiz und Anmaßung bestimmte Impulse, die ihn mehr als hundertvierzig Jahre lang angetrieben hatten und nur einmal in seinem Leben für kurze Zeit in den Hintergrund getreten waren, ohne ganz zu verschwinden, während der Monate mit Lidia, die ihn im Stich gelassen hatte. Wie dumm sie doch gewesen war, sich für ein Leben als Kantaki-Pilotin zu entscheiden, bestimmt bereute sie es längst, bestimmt sah
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