Kantaki 02 - Der Metamorph
einer mehrere Meter breiten Steinschale, die von der Decke tropfendes Wasser auffing. Er wankte zu ihr, lehnte sich schwer an ihren Rand, schöpfte mit beiden Händen Wasser und trank. Als er den Oberkörper wieder aufrichtete, explodierte der Schmerz im Rücken geradezu. Eklund ächzte, taumelte und wäre gefallen, wenn Raimon ihn nicht gestützt hätte.
»Du leidest«, sagte der Junge mit dem veränderten, reiferen Gesicht. »Lass mich dir helfen.«
Raimons Finger strichen ihm über den Rücken, und Eklund spürte die Kraft auf eine Weise wie noch nie zuvor: so erfrischend kühl wie das Wasser in der Schale, das seinen Durst gestillt hatte, so sanft wie eine liebkosende Hand, so warm wie eine Umarmung. Im Lauf seines langen Lebens hatte er die Kraft zahllose Male genutzt, um andere zu heilen, doch jetzt fühlte er zum ersten Mal, wie sie sich bei ihm selbst auswirkte. Wenn er in anderen Personen ein kleines Licht angezündet hatte, um die dunklen Flecken von Krankheit zu vertreiben, so ließ Raimon in seinem Inneren eine Sonne aufgehen. Kein anderer Heiler vor ihm war jemals in der Lage gewesen, in diesem Ausmaß mit der Kraft umzugehen, sie mit einer solchen Intensität einzusetzen. Raimon schien… ein Teil der Kraft zu sein.
Der Schmerz verschwand aus Eklund, und zum ersten Mal seit vielen Jahren konnte er sich bewegen, ohne auf den Rücken achten zu müssen.
»Wer bist du, Raimon?«, fragte Eklund. Eine Hoffnung regte sich in ihm, so phantastisch, dass er versucht war, sie sofort als absurd beiseite zu schieben. Konnte es sein, dass sich hinter der Mission mehr verbarg, als Eklund bisher angenommen hatte? Sollte er Raimon schützen und seiner Bestimmung zuführen, weil die Weltseele ihn gesandt hatte? Wenn die Kraft des Elysiums, der Welt über der Welt, sakraler Natur war, ein Teil der Existenz der Weltseele, und wenn Raimon wiederum zu dieser Kraft gehörte, so machte ihn das zu einem Teil der heiligen Präsenz. Raimon… Sohn der Weltseele? Hätte sich Eklund in seinem Leben mehr wünschen können? Er dachte an sein Bündel mit den bunten Steinen und bedauerte, dass er sie nicht bei sich führte. Er hätte sie gern hier und jetzt geworfen, um in ihren Mustern nach Antworten zu suchen. Mit so etwas wie Ehrfurcht blickte er auf den Jungen hinab. »Wer bist du wirklich?«
»Ich bin ich«, sagte Raimon ruhig. »Ich bin ganz. Und ich bin ein Teil von ihr.«
»Von ihr? Meinst du die Frau ohne Gesicht, die wir im Elysium gesehen haben?«
»Sie wartet auf mich. Seit so langer Zeit wartet sie auf mich. Immer wieder hat sie zu sprechen versucht, mithilfe des Lebens dieser Welt, mithilfe von organischen Strukturen, die Einfluss nehmen und verändern…«
Eklund schnappte nach Luft, als er zu verstehen glaubte. Woher die Erkenntnis kam, wusste er nicht genau. Vielleicht verband seine Seele etwas mit dem Selbst des Jungen, mit dem Wissen, das er dem Elysium zu entnehmen schien. »Die Drogen. Die vielen Halluzinogene von Kerberos. Sind es… Versuche der Kommunikation? Aber wer versucht, mit uns zu kommunizieren?«
»Sie. Die Ruhende. Ich muss durch das Portal und sie wecken.«
»Das Portal?«
Raimon hob die Hände und bewegte sie kreisförmig in der Luft. Eklund glaubte, drei Ringe zu erkennen, die ineinander übergingen. Er verstand. »Das Mandala.«
»Es ist Teil von ihr, so wie ich Teil von ihr bin. Es gibt noch andere Teile, die sich damals von ihr lösten, als sie auf diese Welt kam, als sie fiel, kurz vor ihrem Schlaf.«
Eklund nickte langsam. »Die Brüder und Schwestern haben einige seltsame Objekte in der Zitadelle gefunden. Bis heute weiß niemand, was es mit ihnen auf sich hat.«
»Das Portal ist für mich bestimmt.«
»Du bist der Erste gewesen, dem es gelungen ist, das Mandala zu berühren. Vielleicht war Xalon deshalb so außer sich vor Neid.«
»Ich bedauere sehr, dass ich ihn getötet habe, ihn und die anderen. Zu jenem Zeitpunkt konnte ich mich der Stimme nicht widersetzen. Aber inzwischen bin ich gewachsen. Ich kenne meine inneren Strukturen und kann sie verändern. Die vielen anderen Stimmen… Sie sind so Teil von mir, wie ich Teil von ihr bin.« Raimon gab ein Geräusch von sich, das nach einem leisen Seufzen klang und Jahrmillionen alt zu sein schien. »Ich bin das Leben. Ich werde nie wieder töten.«
»Das brauchst du auch nicht. Komm, ich bringe dich zum Mandala.«
Sie verließen den Raum mit der Tropfwasserschale und gingen wieder durch den breiten Haupttunnel, tiefer hinein in
Weitere Kostenlose Bücher