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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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der Schöpfung, die allerdings nicht mehr das Lied des Lebens sangen. An einer solchen Saite flog die Kapsel entlang und folgte der Spur, einer vagen Dissonanz. Ja, der Keim wähnte sich in Sicherheit. Er war jetzt auf der Suche nach einem abgelegenen, Geborgenheit versprechenden Brutplatz, wo er weiterwachsen und zu einem neuen Omnivor werden konnte.
    KiTamarani überlegte, ob er sich ebenso an das Ganze erinnerte wie sie. Oder hatte er bei der Splitterung den kollektiven Teil seiner Identität verloren?
    Agens: Unbekannter Faktor.
    Etwas, das vom Agens nicht gedeutet werden konnte? Das war erstaunlich genug.
    »Spezifikation«, sagte KiTamarani knapp.
    Agens: Nicht zu identifizierende Objekte im Raum.
    »Wo?«
    KiTamarani empfing ein geistiges Bild, und mit einem neuerlichen Streicheln der Kapselkomponenten änderte sie den Kurs. Gleichzeitig rief sie die mentalen Sonden zurück, Kinder ihres Selbst – keine von ihnen brachte nützliche Informationen.
    Nicht weit entfernt schwebte eine aus tausenden von größeren und kleinen Fragmenten bestehende Wolke im All.
    KiTamarani fühlte sich von einer neuerlichen Vibration erfasst.
    Agens: Destabilisierung nimmt zu.
    Die Konziliantin achtete nicht auf den Hinweis. »Was hat es mit den Objekten dort draußen auf sich? Wieso kannst du sie nicht identifizieren?«
    Agens: Empfehle der Spur zu folgen. Alternative: Rückkehr in die lineare Zeit.
    Vorsichtig streckte sich KiTamarani aus, wuchs durch die Außenwände der Kapsel und die von ihr selbst geschaffene Schutzschicht, dehnte sich der seltsamen Wolke entgegen.
    Entsetzen erwartete sie.
    Ihre Gedanken berührten die Reste einer Konziliantenkapsel. Das Unmögliche war geschehen: Ein Teil des Konziliats existierte nicht mehr.
    Tod …
    Tod eines Konzilianten …
    Deshalb hatte das Agens die Objekte nicht identifizieren können: Zum ersten Mal in der Existenz des Konziliats war ein Teil des Wir/Ich zerstört; es gab keinen Präzedenzfall.
    Agens: Dringlichkeit. Rückkehr. Gefahrenpotenzial nimmt zu.
    KiTamarani spürte es. Die Vibrationen wurden heftiger und zerfransten die Peripherie ihres Seins. Sie gingen von der nichtlinearen Energie aus, die …
    Etwas ließ ihre Gedanken erstarren.
    Falsch! Falsch!, heulte ihr primäres Selbst und leitete eine rasche Kontraktion in Richtung Kapsel ein. Eine zweite Falle, mit den Resten eines Konziliatsplitters als Köder! Zurück, zurück! Fort von hier!
    Der Keim war viel schlauer und gerissener, als sie bisher angenommen hatte. Und viel, viel gefährlicher.
    KiTamarani hatte sich gerade im Innern der Kapsel komprimiert, als aus den Vibrationen der vermeintlichen nichtlinearen Energie ein gewaltiges Zerren wurde, das die Komponenten der Kapsel voller Schmerz stöhnen ließ. Der Keim sprang aus dem Schatten einer toten kosmischen Saite, wogte der Kapsel mit der Schwärze des Omnivors entgegen und riss sie mit sich fort.
     

6 Schlafende Schemen
     
Kerberos
15. April 421 SN
08:55 Uhr
     
    Edwald Emmerson schaltete den Navigationsservo des Levitatorwagens ein, lehnte sich zurück und ließ die jüngsten Ereignisse im NHD-Laboratorium Revue passieren, über die er den Autokraten informieren musste. Er war kein Kreator und kannte sich nur bedingt mit dem wissenschaftlich-technischen Instrumentarium aus, das aus Basismasse neues Leben schuf. Aber er wusste von den geplanten Eigenschaften des Metamorphs, und seit Beginn des Projekts Doppel-M hatte er spezielle Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und darüber hinaus weitere empfohlen. Seine berufliche Spezialität bestand darin, Situationen zu bewerten, Gefahren einzuschätzen und Dinge vorherzusehen, die vielleicht Probleme verursachten. Er befürchtete, dass der entkommene Metamorph zu einem erheblichen Problem werden konnte. Vieles hing davon ab, welche Daten das Programmierungsmodul enthalten hatte.
    Emmerson blickte aus dem Fenster des Levitatorwagens. Irgendwo dort unten in der Stadt befand sich das Geschöpf, in dem Stahlkeramik-Durcheinander aus Hochhäusern, Bürozentren, Produktionskomplexen, eleganten Villen, schmutzigen Baracken, Straßen, Gassen, Brücken und Stegen. Von den Ufern des Acheron hatte sich Chiron über die zahllosen großen und kleinen Inseln des Deltas ausgebreitet; Reichtum und Armut, Wohlstand und Elend, Glück und Verzweiflung wohnten dicht nebeneinander. Irgendwo in diesem Chaos wuchs ein künstliches Geschöpf heran. Wie würde es sich verhalten? Diese Frage hatte sich Emmerson in den letzten Stunden immer

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