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Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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heben wollte, bemerkte er ein Licht in der Nähe. Er drehte den Kopf, und mit seinen geistigen Augen sah er Raimon, von einem gelbweißen Glühen umgeben. Die Kraft strömte in ihn hinein, die Kraft des Elysiums, wie ein Schwarzes Loch saugte er sie auf, und an seinem ganz persönlichen Ereignishorizont wurde Strahlung frei, in Form eines flammenden Fanals, das immer heller zu werden schien. Eklund sah eine sonderbare Teilung des bis dahin so maskenhaften, neutralen Gesichts: Die eine Hälfte war fratzenhaft entstellt, die andere ruhig und sanft.
    »Eklund?«
    Er öffnete die Augen und sah einen Raimon, der sich die Finger leckte und ganz normal aussah. Kein Glühen umgab ihn, und das Gesicht zeigte die gleiche Leere wie zuvor; es wartete noch immer darauf, mit Emotionen gefüllt zu werden.
    »Stimmt was nicht, Eklund?«
    »Ich glaube, ich bin nur ein wenig müde«, sagte er, obwohl er es besser wusste. Aufregung zitterte in ihm. Der Junge war enorm begabt; daran konnte kein Zweifel mehr bestehen.
    Rosalinda rieb sich die Schläfen und lächelte erfreut. »Sie sind weg. Die Kopfschmerzen sind vollkommen verschwunden. Danke, Eklund. Ich stehe erneut in Ihrer Schuld. Wenn Sie irgendetwas brauchen…«
    »Wenn ich Hunger habe, weiß ich, wo es etwas Leckeres gibt. Lassen Sie es sich gut gehen, Linda. Komm, Raimon, setzen wir den Weg fort.«
    Eklund winkte noch einmal, ging dann mit dem Jungen am Straßenrand entlang und stützte sich dabei häufiger als sonst auf den Gehstock. Er achtete darauf, im Schatten der großen Farnpalmen zu bleiben, die wie eine lange Reihe von Wächtern vor den Geschäften, Kasinos und Traumpalästen standen. Wo der Meereswind die Straße nicht erreichte, war es bereits ziemlich warm, und während der nächsten Stunden würde die Temperatur schnell steigen. Vielleicht war das einer der Gründe, warum es die Bewohner der Stadt so eilig hatten. Möglicherweise wollten sie alle ihre Dinge erledigen, bevor es am frühen Nachmittag so heiß wurde, dass Chiron für zwei oder drei Stunden Siesta hielt. Bodenwagen brummten, hupten, rasselten und klingelten. Fahrräder und Mini-Levitatoren bildeten ein manchmal unentwirrbar scheinendes Durcheinander. Levitatorwagen glitten an ihnen vorbei, einige von lauter Musik begleitet, andere fast lautlos; sie wirkten wie zu groß geratene exotische Insekten. Dutzende von Handkarren bewegten sich inmitten der vielen Menschen auf den breiten Gehsteigen.
    »Sieh nur dieses Gedränge, diese Unruhe und Frustration, die flüchtigen Blicke«, sagte Eklund. »Und abends, wenn die Sonne untergeht und es ein wenig kühler wird, ist es noch viel schlimmer. Sag mir, Raimon: Warum haben es diese Leute so eilig, und was ist so reizvoll daran, in einer großen Stadt zu leben, unter solchen Bedingungen?«
    Der Junge schwieg auch weiterhin. Sie gingen Hand in Hand, und seine Miene blieb maskenhaft starr, während er den Kopf von einer Seite zur anderen drehte, alles beobachtete.
    »Du willst noch immer nicht sprechen?«, fuhr Eklund fort, und sein Ich war dabei wie geteilt: Eine Selbsthälfte richtete Worte an Raimon, und die andere dachte über ihn nach, voller Aufregung und Hoffnung. »Schon gut, das macht überhaupt nichts. Nun, ich muss zugeben, dass es mich gelegentlich hierher zieht – ich besuche Elisabeth und verdiene mir mit dem Heilen Geld beziehungsweise den einen oder anderen Gefallen –, aber anschließend bin ich froh, zur Zitadelle zurückkehren zu können. Hier würde ich es auf Dauer nicht aushalten. Oh, die Zitadelle…« Er blieb kurz stehen und deutete zu den hohen Felswänden des Pelion-Massivs. Die Höhlenzugänge wirkten wie dunkle Flecken an ihr, die Kabelstränge, Seile, Leitern und Treppen wie ein zartes Gespinst. »Sie wird dir gefallen, und der Hirte hat bestimmt nichts dagegen, dass du bei mir bleibst. Ja, zugegeben, er hat die anderen Kinder fortgeschickt, aber diesmal…« Erneut blieb er stehen, und der Junge sah zu ihm auf, schien irgendetwas zu erwarten. »Ich werde nicht zulassen, dass er dich fortschickt«, fügte Eklund mit plötzlichem Ernst hinzu und ging weiter, Raimons Hand in der seinen.
    An einem großem Springbrunnen machten sie kurz Rast. Eklund trank vom plätschernden Wasser und bedeutete dem Jungen, seinem Beispiel zu folgen. Nach kurzem Zögern kam Raimon der Aufforderung nach, und einmal mehr wirkte er unsicher, wie nach dem ersten Bissen von Lindas Brötchen. Als sie anschließend den Weg fortsetzten, änderte sich das

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