Kantaki 02 - Der Metamorph
breit.« Er wandte sich von der Konsole ab und sah seine drei Zuhörer der Reihe nach an. »Und es besteht aus einem weniger harten Material, wie die Mikronauten festgestellt haben. Wir können hinein.«
12 Dämmerungen
Kerberos
15. April 421 SN
18:45 Uhr
Rubens Lorgard blickte auf den Schirm und sah mehr, als das Display ihm zeigte. Er betrachtete nicht nur Formeln und die Strichmuster genetischer Sequenzen, sondern den Beginn eines überaus komplexen Kunstwerks. Er entwarf neues Leben, anpassungsfähig, resistent und vielseitig, ausgestattet mit besonderen Fähigkeiten und Sinnen, die weit über das menschliche Wahrnehmungsspektrum hinausgingen. Lorgard schickte sich an, erneut Vater zu werden, auf seine besondere Art und Weise, und vielleicht sogar ein… wirklicher Schöpfer. Tasten klickten, Sensorfelder bestätigten Kontakte mit einem leisen Summen, und die Darstellungen auf dem großen Display veränderten sich, als einzelne Elemente verändert wurden. Lorgard spürte nicht nur Aufregung, sondern auch die tiefe Zufriedenheit eines Künstlers, der sich verwirklichte und das Gestalt annehmen sah, was in seiner Imagination als perfektes Bild existierte.
Hinter ihm piepste es leise. Lorgard sah auf und stellte verblüfft fest, dass der Abend dämmerte. Jenseits der breiten Fenster seines Dachgeschoss-Apartments im zwanzigsten Stock eines Hochhauses in dem Autarken, Souveränen und Magnaten vorbehaltenen Viertel von Chiron leuchteten erste Lichter in der Stadt und auf den Brücken und Stegen zwischen den vielen Inseln im Delta. Er hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, am Design eines verbesserten Metamorphs zu arbeiten, obwohl es Dutzende von administrativen Dingen gab, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Vage Schuldgefühle regten sich deshalb in Lorgard, aber er schob sie entschlossen beiseite und versuchte, an der tiefen Zufriedenheit festzuhalten.
Er drehte den Kopf.
Kleine Geschöpfe bewegten sich hinter ihm, kamen aus dem Halbdunkel der anderen Zimmer, huschten über Boden und Wände, krabbelten auch über die Decke, auf der Suche nach Ungeziefer, Schmutz und kontaminierenden Substanzen. Es handelte sich um Adlaten, deren Mägen drei separate Kammern aufwiesen. Die erste diente als Dekontaminationszentrum und konnte mit den meisten Giften fertig werden, selbst in hoher Konzentration. Die zweite Magenkammer zerlegte alle aufgenommenen Substanzen in einem Säurebad und entzog ihnen die verwendbaren Nährstoffe. Die dritte war ein miniaturisierter biologischer Reaktor, der die Fäzes in Sauerstoff und Aromasubstanzen verwandelte – die Adlaten hielten nicht nur die Wohnung sauber, sondern sorgten auch für frische Luft.
Rubens Lorgard beobachtete die piepsenden Geschöpfe liebevoll, denn auch sie zählten zu seinen Kindern. Die unterschiedlich geformten Geschöpfe suchten jetzt engen körperlichen Kontakt zueinander; daraufhin veränderte sich ihre Struktur, und sie wuchsen zu einem neuen kollektiven Geschöpf zusammen. Aus vielen kleinen Adlaten wurde ein etwa anderthalb Meter großer Mehrzweck-Adlatus, der auf drei krummen, gummiartig flexiblen Beinen stand und dessen Haut wie dickes, altes Leder wirkte – Kleidung brauchte er nicht. Die beiden großen Augen im faltigen Gesicht erlaubten gutes räumliches Sehen, und die Nase war auf die Wahrnehmung von Schmutzpartikeln und toxischen Substanzen spezialisiert. Die Standardprogrammierung der Formationsmatrix stattete die Adlaten mit rudimentärer Intelligenz aus. Geschöpfe dieser Art waren recht teuer, aber sie erfreuten sich bei den finanzkräftigen Autarken, Souveränen und Magnaten vieler Welten großer Beliebtheit und zählten zu den Verkaufsschlagern von New Human Design.
»Fertig bin«, sagte der Adlatus.
Lorgard stand auf. »Gut. Du kannst gehen und das Ruhezentrum aufsuchen.«
Der Adlatus drehte sich um und wankte auf seinen drei Beinen fort. Lorgard hörte, wie sich die Eingangstür öffnete und dann wieder schloss. Das Ruhezentrum befand sich im untersten Kellergeschoss des Apartmentturms – mehrere den mobilen Bio-Servi vorbehaltene Zimmer, wo sie von subalternen Bio-Ingenieuren gewartet wurden und schliefen. Er fragte sich kurz, ob Adlaten und die anderen Geschöpfe, die in den NHD-Laboratorien entstanden, auch träumten. Und wenn das der Fall war… Wovon träumte dann der Metamorph?
Stille herrschte, eine Stille, in der nur das leise Summen des Datenservos zu hören war. Das Display zeigte noch immer komplexe
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