Kantaki 02 - Der Metamorph
genetische Muster, verlockend in ihrer biologischen Ästhetik. Lorgard wandte sich davon ab, ging zur Küche und wollte sich dazu zwingen, etwas zu essen – er wusste, dass sein Körper Nährstoffe brauchte, um weiterhin zu funktionieren, um auch das Gehirn funktionieren zu lassen. Aber als er in der kleinen Küche stand, umgeben von einem diffusen Halbdunkel, und zu den Syntho-Maschinen sah, die selbst komplexe Speisen innerhalb weniger Minuten fertig stellen konnten, hinderte ihn das akustische Signal des Türmelders daran, das Kontrollfeld zu aktivieren und eine kulinarische Auswahl zu treffen.
»Wer ist da?«, fragte er, und der Apartmentservo leitete seine Stimme zum Überwachungsservo der Tür weiter.
»Edwald Emmerson«, klang eine vertraute Stimme aus einem Lautsprecher.
»Identität bestätigt«, fügte die synthetische Stimme des Überwachungsservos hinzu.
»Herein.«
Einige Sekunden verstrichen, und dann näherten sich Schritte.
»Direktor?«
Lorgard musterte den kleinen, schmächtigen Mann mit dem schütteren Haar überrascht. »Was führt Sie hierher?«
»Ich habe heute Nachmittag mehrmals versucht, Sie zu erreichen, Direktor«, erwiderte Edwald Emmerson ernst.
»Ich bin die ganze Zeit über hier gewesen.« Lorgard runzelte die Stirn, drehte sich dann um und kehrte ins große Arbeitszimmer zurück. Draußen war es dunkel geworden – hier in den tropischen Breiten von Kerberos dauerte der Übergang von Tag und Nacht nicht lange –, und die Lichter der Stadt hatten sich vervielfacht. Der Schein der beiden Monde gab den braunen Fluten des Acheron einen Glanz wie von Silber.
Am Schreibtisch blickte Lorgard auf die Anzeigen des Kommunikationsservos.
»Oh, das tut mir Leid«, sagte er mit echtem Bedauern. »Ich habe den Kom-Servo deaktiviert, weil ich nicht gestört werden wollte.«
»Was den Zwischenfall in der vergangenen Nacht betrifft…«, sagte Emmerson. »Es war kein Unfall, sondern ein Anschlag.«
» Was? «, entfuhr es Lorgard. Einige Sekunden lang starrte er seinen Sicherheitschef groß an, deutete dann zum Tisch am Eckfenster. »Lassen Sie uns dort Platz nehmen.«
Die beiden Männer setzten sich, und Edwald Emmerson berichtete vom aktuellen Stand der Dinge.
»Jemand wollte den Metamorph entkommen lassen«, fasste der Sicherheitschef noch einmal alles zusammen, nachdem er die Einzelheiten genannt hatte. »Und er hat ihn darauf programmiert, zahlreiche Zielpersonen zu töten, auch Sie und mich.«
»Aber wer?«, murmelte Lorgard fassungslos. »Und warum?«
»Genau das würde ich gern herausfinden«, sagte Emmerson. »Und in diesem Zusammenhang ergibt sich ein Problem. Morgen gegen fünfzehn Uhr trifft der von Globaldirektor Lukert Turannen entsandte Sonderbeauftragte Lutor in Chiron ein. Offenbar kommt er mit Sondervollmachten, und er scheint ein ausgesprochen unsympathischer Bursche zu sein.« Als Lorgard nicht reagierte, fügte Emmerson hinzu: »Turannen setzt uns beiden jemanden vor die Nase.«
Lorgard lehnte sich zurück, und es fiel ihm schwer, seine Gedanken zu ordnen. Sein Geschöpf, sein Werk… Jemand hatte es manipuliert, aus rätselhaften Gründen, ihm sogar den genetischen Befehl gegeben, den eigenen Schöpfer zu töten.
Lorgards Blick glitt zu den Fenstern und weiter zu den Lichtern der Stadt. Der Metamorph befand sich irgendwo dort draußen und würde seinem Grundprogramm gehorchen, sich im Verborgenen halten und wachsen, bis er bereit war. Plötzlich dachte der Direktor nicht mehr an einen verlorenen Sohn, sondern stellte sich eine tickende Zeitbombe vor, die niemand entschärfen konnte und die früher oder später explodieren würde.
»Und das gefällt Ihnen nicht«, sagte er und richtete den Blick schließlich wieder auf Emmerson, der geduldig gewartet hatte.
»Gefällt es Ihnen?«
Lorgard stand auf, drehte sich um, trat ans nächste Fenster heran und starrte in die Nacht. Er verspürte den Wunsch, allein zu sein, in Ruhe über alles nachzudenken und wieder Ordnung in das Chaos hinter seiner Stirn zu bringen, aber er wusste, dass er Emmerson in dieser Situation nicht einfach fortschicken konnte. Er hatte das Gefühl, immer mehr die Kontrolle über sein Leben zu verlieren, nicht mehr zielstrebig zu handeln, sondern nur noch auf die Dinge zu reagieren, die um ihn herum geschahen. In einem Anflug von Poesie verglich er sich mit einem welken Blatt, das am Ast eines Baumes hing und wusste, dass es vom nächsten Windstoß fortgeweht würde; und am Horizont zogen sich
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