Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kantaki 02 - Der Metamorph

Kantaki 02 - Der Metamorph

Titel: Kantaki 02 - Der Metamorph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Rückenschild und fühlte, wie Dutzende von kleinen Kehrern über seinen Körper krabbelten, auf der Suche nach Parasiten, die sie sofort vertilgten. Noch einmal ließ er seinen Blick durch die Höhle schweifen, konzentrierte sich dann auf den Kanal und die geistigen Linsen, durch die er mithilfe des Nährpilzes sehen konnte. Er hielt Ausschau, nach den Signifikanzänderungen einzelner Zeitquanten, und er lauschte, nach einem Wispern aus ferner Vergangenheit…
     
     

13 Blickloses Sehen
     
Zitadelle von Kerberos
15. April 421 SN
19:10 Uhr
     
    »Das ist es«, sagte Bruder Eklund leise, um die vielen Meditierenden nicht zu stören. »Das ist unser Mandala.«
    Zusammen mit Raimon stand er im Zugang einer großen Grotte, die vom Licht tausender Kerzen erfüllt war – sie standen überall, auf kleinen Vorsprüngen, in Nischen, auf den schmalen und breiten Stegen, die wie natürliche Brücken durch die Höhle reichten, auf stalagmitenähnlichen Vorwölbungen. Normalerweise brannten sie ruhig und gleichmäßig, aber gelegentlich geschah es, dass Mitglieder der Aufgeklärten Gemeinschaft, Männer und Frauen, ihre Meditation beendeten, aufstanden und sich zurückzogen, und dann geriet die Luft in Bewegung, ließ Kerzenflammen flackern und kurzlebige Schatten über die Felswände huschen.
    Aber was auch immer geschah: Das Glühen des Mandalas blieb unbetroffen und konstant.
    Fast zwei Dutzend Meter weiter unten, in der Mitte der großen Höhle und gesäumt von zwanzig Andachtssäulen, drehten sich langsam drei aufrechte Kreise aus goldgelbem Licht. Gelegentlich gingen sie ineinander über, trennten sich dann, um wenige Sekunden später erneut zueinander zu finden. Komplexe Bewegungsmuster entstanden auf diese Weise, und Eklund erinnerte sich daran, dass er schon als Junge deren hypnotische Wirkung gespürt hatte. Die drei Kreise des Mandalas luden ein, die Gedanken treiben zu lassen, sie wie kleine Schiffe dem Ozean des Geistes anzuvertrauen und zu beobachten, wohin die Strömung sie trieb.
    »Hier hat alles begonnen«, sagte Bruder Eklund und sprach noch immer mit gesenkter Stimme. »An diesem Ort entdeckten die ersten von uns das Elysium und die heilende Kraft.«
    Dutzende von Mitgliedern der Aufgeklärten Gemeinschaft saßen bei den Kerzen, die sie zum Teil selbst mitgebracht und angezündet hatten, vertieft in die Mandala-Meditation. Eklund führte den Jungen langsam an der Peripherie der Grotte entlang, hielt dabei nach einem freien Platz Ausschau, der sowohl eine gewisse Bequemlichkeit bot als auch einen guten Blick auf das Mandala. Doch Raimon löste sich von seiner Seite, als sie eine der Treppen erreichten, die an Felssäulen vorbei nach unten führten, zum steinigen Rund mit den Andachtssäulen und den drei Lichtkreisen.
    »Möchtest du das Mandala aus der Nähe sehen?«, fragte Eklund den Jungen und ging mit ihm die Treppe hinunter.
    Einige Brüder und Schwestern murmelten, fühlten sich vielleicht in ihrer Meditation gestört. Andere öffneten die Augen und beobachteten wortlos. Normalerweise geschah es nur bei besonderen Anlässen, dass sich Angehörige der Gemeinschaft in die unmittelbare Nähe des Mandalas begaben, aber es war auch nicht verboten.
    Neben einer der Säulen blieb Raimon stehen, und das Glühen der goldgelben Lichtkreise spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Die Augen des Jungen waren groß, größer als zuvor, schienen das Licht regelrecht aufzusaugen.
    »Um ganz ehrlich zu sein, Raimon… Niemand von uns weiß, was das Mandala ist«, raunte Eklund, während er einige missbilligende Blicke auf sich ruhen spürte. »Seit mehr als neunzig Jahren nennen wir das Objekt Mandala, weil es uns bei der Meditation hilft, aber vielleicht ist es etwas ganz anderes. Sieh genau hin, Raimon. Die drei Lichtkreise scheinen aus Gold zu bestehen, oder aus einem wie Gold glänzenden Metall, aber manchmal kann man durch sie die gegenüberliegende Wand sehen. Ein Perpetuum mobile aus einer anderen Welt«, fügte er nachdenklich hinzu und richtete den Blick wie Raimon auf die hin und her gleitenden Kreise. »Nicht ganz hier und nicht ganz dort, wie gefangen zwischen den Dimensionen… In fast einem Jahrhundert ist es niemandem gelungen, das Mandala zu berühren.«
    Raimon sah kurz zu ihm auf, trat dann an der Säule vorbei und streckte die Hand aus.
    Mehrere Brüder und Schwestern schnappten hörbar nach Luft.
    »He!« Eklund stützte sich auf seinen Gehstock, als er ebenfalls vortrat, dem Jungen die Hand auf

Weitere Kostenlose Bücher