Kantaki 02 - Der Metamorph
die Schulter legte…
… und sich im Elysium wiederfand, in der Welt über der Welt, ohne spürbaren Übergang, ohne dass sich ein Portal aus altem, verwittertem Holz öffnete. Es musste das Elysium sein, denn Eklund spürte die Präsenz der Kraft, die alles durchdrang, aber gleichzeitig war es eine fremde Welt, geschaffen nicht von den Assoziationen und verbindenden Vorstellungen seines Bewusstseins, sondern von den Gedankenverknüpfungen des Jungen, der in der Grotte die Hand ausgestreckt hatte, um das Mandala zu berühren.
Eine öde, tote Welt erstreckte sich um sie herum, ockerfarben und leer. Weiße Spindeltürme ragten auf, kratzten mit ihren Spitzen an schiefergrauen und lehmbraunen Wolken, die schnell über den Himmel zogen, als wären sie auf der Flucht. Hier und dort zeigten sich Öffnungen in den Türmen, Fenster vielleicht, aber Eklund wusste, dass sie leer waren, nicht erst seit gestern, sondern seit Äonen. Wie stumme Mahnmale ragten die Bauwerke auf, nicht errichtet von Menschen, sondern von fremden Geschöpfen, deren Namen nie ein Mensch ausgesprochen hatte, und sie warnten vor… Wovor?, fragte sich Eklund.
»Hast du uns absichtlich hierher gebracht, Raimon?«, wandte er sich an den Jungen, obwohl er gar keine Antwort erwartete. »Und was hat es mit diesem Teil des Elysiums auf sich?«
Raimon schwieg natürlich, sah ihn an, griff nach seiner Hand und ging los.
Sie wanderten durch den Wald aus weißen Spindeltürmen, und Bruder Eklund spürte dabei nach wie vor die Kraft, aber gleichzeitig regten sich in ihm erste Zweifel, ob dies wirklich das ihm vertraute Elysium war. Vielleicht, so sinnierte er, gab es mehrere Welten über der Welt, und der Junge hatte ihn in eine andere gebracht, die bisher von der Aufgeklärten Gemeinschaft unberührt geblieben war.
»Wohin führst du uns, Raimon?«, fragte Eklund nach einer Weile, als ihm die Stille unheimlich zu werden begann. Nur Sand und kleine Steine knirschten leise unter ihren Füßen; abgesehen davon blieb alles völlig geräuschlos.
Der Junge blieb stehen und richtete erneut den Blick auf ihn. Einige Sekunden lang hoffte Eklund, dass Raimon sprechen und ihm Antwort geben würde, aber er wahrte sein Schweigen, trat an einen der Spindeltürme heran und schien bestrebt zu sein, ihn zu umarmen: Er breitete die Arme aus und presste sich an den Turm, den Kopf nach hinten geneigt.
Oben, weit oben, ragte die Spitze des Turms durch die dahinjagenden Wolken. Wieder hatte Eklund das vage Gefühl, eine Warnung zu empfangen, und er horchte in sich hinein, hörte aber kein Flüstern und Raunen, sondern berührte Zeit, das Alter der Spindeltürme – im Vergleich mit ihnen währte das Leben eines Menschen nicht länger als eine Nanosekunde. Dennoch bemerkte er keine Verwitterungserscheinungen an ihnen; sie schienen gerade errichtet worden zu sein.
Raimon wandte sich vom Turm ab, doch sein Gesicht wirkte jetzt nicht mehr leer, zeigte Zielstrebigkeit. Er setzte sich erneut in Bewegung, diesmal ohne Eklunds Hand zu nehmen, ging schneller. Einmal zögerte er und warf einen kurzen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass Bruder Eklund ihm folgte.
Der Alte schnaufte leise – die Stille um ihn herum schien das Geräusch aufzusaugen –, stützte sich auf seinen Gehstock und bemühte sich, den Vorsprung des Jungen nicht zu groß werden zu lassen. Er befürchtete plötzlich, ohne Raimon in dieser ihm fremden Welt festzusitzen, weder ins vertraute Elysium noch in die Zitadelle zurückzufinden.
Immer schneller zogen die Wolken über den Himmel, und Dunkelheit folgte ihnen, breitete sich innerhalb weniger Sekunden am Firmament aus, ohne den Boden dieser Welt zu erreichen. Die Spindeltürme begannen zu glühen. Ein geisterhaftes Licht ging von ihnen aus, tastete durch die Luft und imprägnierte sie mit einem sanften Glanz, der Eklund wie das visuelle Äquivalent eines Streichelns erschien. Er versprach sichere Geborgenheit, und die Sorge fiel von ihm ab, als er weiterhin dem Jungen folgte.
Die Abstände zwischen den Türmen wurden ein wenig größer; sie schienen zurückzuweichen vor einem Podest, das ihr Glühen empfing, es verstärkte und gen Himmel projizierte. Eklund sah nach oben und stellte fest, dass die fliehenden Wolken dem Licht auswichen. Der projizierte Glanz schuf ein rundes Loch im Himmel, aber dahinter leuchteten keinen Sterne, wie Eklund erwartet hatte. Stattdessen glaubte er, Augen zu erkennen, zahllose Augen, die nichts Menschliches
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