Kantaki 02 - Der Metamorph
anzuhalten.
Lutor verstaute den kleinen Käfig, schwang sich den Rucksack auf den Rücken und trat entschlossen in den Wald aus dunklen Säulen. Er versuchte, einen möglichst großen Abstand zu den Käfersäulen zu wahren, aber manchmal standen sie so dicht zusammen, dass er sich ganz vorsichtig an ihnen vorbeischieben musste, um sie nicht zu berühren. Auch den Fäden wich er aus; vielleicht leiteten sie Berührungssignale weiter, wie Spinnweben. Die rechte Hand blieb am Knauf des Schwerts, und immer wieder sah er sich aufmerksam um, hielt nach einem Gegner Ausschau. Die Stille lud ihn ein, leise zu sein.
Plötzlich fiel etwas auf ihn herab und breitete transparente Insektenflügel aus.
Lutor reagierte mit den Reflexen des Kriegers Kordun, hob den Flamberg mit nur einer Hand und zerschmetterte das Etwas mit einem wohlgezielten Hieb. Fetzen flogen in alle Richtungen, und er sah Stachel, Beißkiefer und scharfe Zangen.
Die Stille, das wartende Schweigen um ihn herum, fand ein Ende. Der Wind ließ seinen angehaltenen Atem entweichen und fauchte durch den Wald, während von den Säulen ein lauter werdendes Knistern und Knacken kam. Lutor begriff, was sich anbahnte, und lief los. Er stürmte an den Säulen vorbei, die sich hinter, neben und vor ihm auflösten, als Millionen von Käfern die Gemeinschaft verließen, um mit der Jagd zu beginnen. Sie verdunkelten das Licht der Sonne und bildeten eine gewaltige Wolke, die sich auf ihn herabsenkte.
Lutor blieb stehen, als er begriff, dass er das Ende des »Waldes« nicht rechtzeitig erreichen konnte. Mit seinem Schwert ließ sich nichts gegen den riesigen Käferschwarm ausrichten, so viel stand fest. Wenn ihn die Insekten erreichten… Wahrscheinlich brauchten sie nur wenige Sekunden, um ihm das Fleisch von den Knochen zu reißen. Es gab nur einen Ausweg: der Sturm-aus-der-Hand.
Rasch nahm er den Rucksack ab und öffnete ihn. Er achtete nicht auf den Kuiki, der in seinem Käfig zitterte, suchte unter den Gegenständen, die er eingesteckt hatte, und fand ein weißes, knollenartiges Objekt.
»Sturm, Sturm!«, schrillte das Männchen. »Mach Sturm!«
Lutor legte sich die Knolle auf die rechte Hand, hob die linke…
Aus dem Knistern und Knacken war ein Donnern geworden, und eine gewaltige Wolke aus Käfern stürzte herab. Lutor sah kurz nach oben, hielt dann nach Dingen Ausschau, an denen er sich festhalten konnte. Hier ragte ein Stein aus dem Boden, dort eine Wurzel. Welche Höhe war sicher?
»Sturm, Sturm!«, keifte der Kuiki.
Lutor hielt die rechte Hand etwa einen Meter über den Boden und schlug mit der linken auf die Knolle. Ein sonderbares, gurgelndes Fauchen erklang, als das weiße Objekt platzte. Lutor verlor keine Zeit, warf sich zu Boden, zog den Rucksack heran und griff mit der anderen Hand nach einer knorrigen Wurzel.
Dicht über ihm stellte sich dem Donnern ein lauter werdendes Zischen entgegen. Etwas, das wie eine Nebelschwade aussah, kam aus der zerplatzten Knolle, schwoll rasch an und wurde zu einem Orkan, der sich einen Meter über dem Boden ausbreitete und alles mit fortriss, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte. Wie die Druckwelle einer Explosion zerschmetterte der Sturm-aus-der-Hand die Käfer, die ihm am nächsten waren, zerriss die transparenten Flügel der weiter entfernten und wirbelte alles, Fetzen und ganze Körper, gen Himmel und übers Land.
Lutor wagte nicht, den Kopf zu heben. Als Krieger Kordun wusste er, dass sich der Sturm-aus-der-Hand nicht nach unten ausbreitete, aber eine Distanz von nur einem Meter war alles andere als sicher. Er hielt die Augen geschlossen, bis das Fauchen und Heulen leiser wurde. Und bis er einen stechenden Schmerz am rechten Bein spürte, so heftig, dass er den Kopf drehte und nach unten sah.
Einige Käfer schienen sich bereits am Boden befunden zu haben, als der Sturm losgebrochen war, und einer von ihnen hatte ihm die Zange ins Bein gebohrt. Lutor griff nach dem Schwert, richtete sich halb auf und schlug zu. Die Klinge sauste dicht am Bein vorbei und schnitt den Käfer, dessen Zange in der Wade stecken blieb, in zwei Hälften. Dickflüssiger, grüngelber Saft quoll aus dem Körper. Weitere Käfer krabbelten hungrig näher, und Lutor stieß mit dem Zweihänder zu, spießte sie nacheinander auf. Dann erhob er sich – der Sturm war nur mehr ein starker Wind, der immer mehr abflaute – und drehte das Schwert über dem Kopf so schnell im Kreis, dass die aufgespießten Käfer fortflogen.
Jemand
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