Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
Lächeln auf ihren Lippen. »Ich schätze, wir werden bald sehen, ob wir Ihnen trauen können. Wenn wir unseren Einsatzort erreichen. Dort wird sich Ihr wahres Gesicht zeigen, so oder so.« Sie berührte ein Kantaki-Symbol an der Wand, und eine Öffnung entstand, führte in ein kleines Quartier. »Warten Sie dort, bis wir Sie brauchen.«
Valdorian betrat seine Unterkunft, und hinter ihm schloss sich der Zugang. Er war erneut ein Gefangener.
Es fiel Valdorian schwer, ohne Daten- oder Kom-Servi und ohne Kontakt mit anderen Personen sein Zeitgefühl zu bewahren. Seine Benommenheit verflüchtigte sich relativ schnell, aber etwas anderes nahm ihren Platz ein, etwas wie ein mentales Schwerkraftzentrum, das den Raum seiner Innenwelt krümmte und die Gedanken in eine bestimmte Richtung lenkte. Während er in seinem Quartier umherging – oft mit geschlossenen Augen, um nicht von den perspektivischen Verzerrungen irritiert zu werden –, erwachten Kindheitserinnerungen in ihm. Er entsann sich plötzlich an Dinge, die er längst vergessen glaubte. Oft sah er seinen Vater vor dem inneren Auge, zu dem er als Kind und Heranwachsender ein schwieriges Verhältnis gehabt hatte und der später sein Vorbild geworden war, dem es nachzueifern galt. Er sah auch seine Mutter Madeleine Kinta, ihr Gesicht immer traurig, die Augen immer voller Kummer, und er begriff plötzlich, wie sehr sie während ihrer Ehe mit Hovan Aldritt Valdorian gelitten hatte. Viele Dinge ergaben aus der neuen Perspektive einen ganz anderen Sinn. Nach der Benommenheit schien ein zweiter Schleier von ihm genommen zu werden. Mehr als hundert Jahre lang hatte er sich für jemanden gehalten, der außerhalb des Schachbretts stand und die Figuren darauf bewegte, doch jetzt musste er sich der bitteren Wahrheit stellen, dass er die ganze Zeit über nur eine Figur auf einem anderen Schachbrett gewesen war. Er hatte sich frei geglaubt, mit all dem Reichtum und der Macht sogar freier als die meisten anderen, aber in Wirklichkeit war er nur ein Instrument gewesen: der Wegfinder, für Agoron und Olkin, die beiden Personen, mit denen ihn sein individuelles Kausalitätsmuster verband.
Das ungeheure Ausmaß und die enorme Komplexität des Plans, in dem er eine Schlüsselrolle gespielt hatte – erst ohne es zu ahnen, dann ohne es zu wollen –, erfüllte ihn mit Ehrfurcht. In gewisser Weise konnte er Diamants Feindseligkeit ihm gegenüber verstehen. Durch ihn war dies alles möglich geworden. Aber jemand anders hatte für ihn die Entscheidungen getroffen, ihn so handeln lassen und nicht anders. Erst Agoron und dann Olkin hatten an den Fäden der Marionette namens Valdorian gezogen.
Und der Schmerz beim mentalen Kontakt mit Xadelia hatte jene Fäden zerschnitten.
Valdorian blieb stehen, öffnete die Augen und blickte auf eine dunkle Wand seines Quartiers – die Mitte schien sich vorzuwölben, ihm entgegen, während die anderen Bereiche kleiner wurden und zurückwichen. Er versuchte, nicht darauf zu achten, konzentrierte sich stattdessen auf eine wichtige Erkenntnis. Er konnte seine Unterkunft nicht verlassen, war in ihr gefangen, aber gleichzeitig wusste er sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich frei. Die Marionette hatte ihre Fäden verloren. Er wurde nicht mehr manipuliert, konnte frei über sein Tun entscheiden. Mehr noch: Endlich, nach mehr als einem Jahrhundert, bekam er Gelegenheit, er selbst zu sein.
Diese Überlegungen gaben dem Mann auf dem Weg zwischen Glatteis und Treibsand Kraft. Die dunkle Kreatur blieb in ihm, denn sie war ein Teil von ihm, gewachsen aus Bitterkeit und Enttäuschung. Aber er verstand sie jetzt, er wusste, woher sie kam, und dieses Verstehen gab ihm bessere Möglichkeiten, sie zu kontrollieren. Wenn er doch nur in der Lage gewesen wäre, Diamant die Veränderungen in seiner Innenwelt zu zeigen! Dann hätte sie gesehen, dass es Licht dort gab, wo vorher Finsternis gewesen war, dass wirklich Veränderungen stattgefunden hatten. Sie verwechselte ihn mit dem schwarzen Geschöpf in seinen Tiefen …
Ich bin noch immer da, flüsterte die dunkle Kreatur des Zorns. Du machst dir etwas vor. Wie frei kann jemand sein, der sich selbst täuscht?
Ein leises Summen weckte Valdorians Aufmerksamkeit, und erstaunt beobachtete er, wie sich eine Öffnung in der Wand bildete. Es war noch nicht Zeit für die nächste Mahlzeit – oder hatte sein Zeitgefühl inzwischen so sehr gelitten?
Doch der Akuhaschi, der das Quartier betrat, kam mit leeren Händen.
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