Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
Stirn. »Vielleicht brauchst du nur ein wenig Ruhe.«
Zeit tröpfelte, raste.
Diamant verabscheute es, die Synthesemaschine ganz oben in einem Knoten am Rand des Vortex aufsuchen zu müssen, denn dies hätte einen mehrstündigen Marsch bedeutet – sie hatte vergessen, wie man die Kontrollen der Kapsel bediente. Aber alle zwei oder drei Tage ( Tage – das verrieten ihr die Anzeigen des Chrono-Servos, die sie noch zu deuten wusste) musste sie sich auf den Weg machen, denn sie konnte nur eine bestimmte Menge an Nahrungsmitteln und Wasser tragen. Den Rest der Zeit verbrachte sie im Raum mit den Ringen, der sie vor den Kopfschmerzen schützte, von gelegentlichen Ausflügen in einen anderen Raum abgesehen, wo sie die sanitären Einrichtungen der Temporalen benutzte – sie hatte durch Zufall herausgefunden, wie sie funktionierten. Und es wunderte sie nicht, dass sie noch funktionierten, nach so vielen Jahren und in einem kollabierenden Universum. Manchmal saß sie dort vor einer großen spiegelnden Fläche, schnitt ihre Fingernägel und das Haar, musterte ein Gesicht, das ihr gehörte und doch fremd erschien.
Sie war erneut bei der Synthesemaschine gewesen, um Nahrungsmittel zu holen, doch diesmal hatte sie sich nicht sofort auf den Rückweg gemacht, sondern den Raum ganz oben aufgesucht, den mit der transparenten Wand. Dort war es so kalt, dass Diamant normalerweise nicht länger als zwanzig oder dreißig Sekunden blieb, aber diesmal veranlasste sie etwas, minutenlang an der Fensterwand zu verweilen, die Kälte zu ignorieren und den auf der anderen Seite schwebenden Körper zu betrachten, der ihr den Rücken zukehrte.
Völlig reglos hing der Leichnam in der Leere, in einer großen Schleuse, deren ambientale Systeme versagt hatten und in der es keine künstliche Schwerkraft mehr gab. Das Außenschott war geöffnet. Blondes Haar hatte sich wie eine gelbe Wolke um den Kopf ausgebreitet, und die Arme waren ausgestreckt, als hätten sie im Tod nach etwas greifen wollen. Die Gestalt trug keinen Schutzanzug.
Diamant versuchte, sich an den Namen der Frau mit dem blonden Haar und den blauen Augen zu erinnern, aber er fiel ihr nicht ein, und das fand sie schade. Sie fand es ebenso schade wie den Umstand, dass sie das Gesicht der Toten nicht sehen konnte. Der Ausdruck darin blieb ihr für immer verborgen. Es sei denn, sie nahm einen der Schutzanzüge und begab sich in den Raum …
Sie schauderte und wandte sich ab, sehnte sich mit jäher Intensität zu den Ringen zurück. Als sie die Tür erreichte, blieb sie noch einmal stehen und sah zur transparenten Wand, zu der Frau dahinter. Plötzlich entsann sie sich des Namens.
»Esmeralda«, flüsterte sie.
Das Gewicht der beiden Beutel mit den Nahrungsmitteln schien sich zu verdoppeln, als sie den langen Rückweg antrat, aber Diamant ließ sich von dem Gedanken trösten, dass sie anschließend drei Tage ruhen konnte. Erste Kopfschmerzen machten sich bemerkbar, und diesmal wurden sie schneller als sonst stärker, hämmerten hinter ihrer Stirn und legten einen Schleier nicht nur vor ihre Augen, sondern auch um die Gedanken. Die Dinge in ihrer Umgebung schienen sich dadurch zu verändern und irgendwie von ihr fortzurücken, obgleich sie ihre Position nicht veränderten. Sie verloren an … Bedeutung und bekamen etwas Traumartiges, so als existierten sie nur dann, wenn sie ihnen genug Aufmerksamkeit schenkte. Übelkeit quoll in ihr empor, und sie stolperte ins nächste Temporalenquartier, das sich kaum von dem tiefer unten im Vortex unterschied, das sie so häufig besuchte. Sie fand den sanitären Raum, beugte sich dort über das, was sie für eine Recyclingmulde hielt, und erbrach sich mehrmals, bis ihr Magen praktisch leer war. Anschließend wankte sie an der Wand entlang, ertastete vertraut gewordene Kontrollen, drehte einen wie verkantet wirkenden Knauf und sah, wie eine kleine Säule aus violetter Flüssigkeit aus einem Becken stieg. Sie hielt den Kopf darüber, öffnete den Mund und trank.
Auch das zählte zu den Dingen, die sie irgendwann gelernt hatte. Normalerweise trank sie Wasser aus der Synthesemaschine, aber manchmal zog es sie zu dieser violetten Flüssigkeit, die viel zu süß war, aber gegen die Übelkeit half. Was sie veranlasst hatte, sie ohne einen toxischen Test zu probieren … Sie wusste es nicht mehr. Es gehörte zu den vielen anderen Dingen, die sie vergessen hatte.
Später, im Raum mit den Ringen, stellte sie fest, dass sie einen der beiden Beutel
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