Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
geistigen Stimmen der anderen Feyn waren etwas leiser für sie, auch die der beiden anderen Vitalinnen, die sich zusammen mit ihr derzeit im Zentrum des Netzes befanden und das Leben der Feyn erneuerten.
Xadelia schloss die Augen, gab sich dem Wohlbehagen des Partus und den neuen Empfindungen hin. Die Sinnesorgane der jungen Feyn übermittelten ihr die ersten, herrlich frischen Eindrücke von über hundert neuen Leben. Zum ersten Mal sahen ihre Kinder die großen, langen Filigrane: bündelartige Ansammlungen weißgrauer Kondensatfäden, an denen sich die Kjai sammelten, mikroskopisch kleine Pilze, die an den Filigranen zu Kolonien heranwuchsen und das Hauptnahrungsmittel der Feyn bildeten. Von den Winden getragen, schwebten die Fadenbündel hoch über einem Planeten dahin, der eine zum Weißen Zwerg geschrumpfte Sonne umkreiste und nicht mehr annähernd so viel Licht und Wärme von ihr empfing wie noch vor zwei Epochen. Xadelia kannte jene Zeit nur aus den Aufzeichnungen in den memorialen Knoten der Hauptfiligrane. Damals, lange vor dem ersten Konflikt mit den Temporalen, die die Kausalität störten, hatte sich Talaha, »die Brennende«, aufgebläht, die inneren Planeten verschlungen und auch Feyindar bedroht. Mithilfe der Kantaki war es gelungen, die Heimatwelt der Feyn in eine neue Umlaufbahn zu bringen und ihr zahlreiche künstliche Sonnen zu geben, die dafür sorgten, dass sich die komplexen Strömungsmuster in der Atmosphäre kaum veränderten – dadurch waren die meisten großen Filigrane, die den Feyn nicht nur Nahrung, sondern auch Wohnraum gaben, stabil geblieben.
Unten, tief unten, sah Xadelia mit den Augen ihrer Kinder die Gipfel hoher Berge aus dem Nebel ragen, der fast immer die Täler und Ebenen bedeckte. Dort, dicht über dem ewigen Grau, umgeben von stummen Graten, hatten die Feyn während der zweiten und dritten Epoche die Zentren der Meditation und der Kausalitätsbetrachtung eingerichtet. Zwei Neugeborene näherten sich ihnen, angelockt von einem Ruf, den allein sie vernahmen, und Xadelia stellte zufrieden fest, dass sie diesmal auch einen Philosophen und einen Mathematiker zur Welt gebracht hatte. Sie war darauf bedacht gewesen, ihren Eiern eine möglichst große Entwicklungsvielfalt zu geben, und der offensichtliche Erfolg ihrer Bemühungen erfüllte sie mit Stolz.
Sie stellte sich vor, wie es sein mochte, das Leben als Philosoph zu verbringen, Dinge zu ergründen und nach dem Sinn alles Existierenden zu suchen. Und wie war es, als Mathematiker an den Kausalitätsmodellen zu arbeiten, mit denen seit vielen Epochen versuchte wurde, das gesamte Universum auf eine ursprüngliche Ursache zurückzuführen, auf das Eine, das sich bewegt und alles andere in Bewegung versetzt hatte? Wenn es den Mathematikern jemals gelingen sollte, ein Kausalitätsmodell zu vollenden, so ließe sich daraus auch berechnen, was die Zukunft bringen würde, denn alles war das Ergebnis jener einen fundamentalen Ursache.
Wohlige Schauer durchzogen Xadelia, als sie das letzte Ei aus dem Unterleib presste, der daraufhin kontrahierte. Das unangenehme Gefühl der Schwere verschwand, und plötzlich glaubte die Vitalin, so leicht zu sein, dass sie nur ausatmen musste, um wie einer der kleinen, agilen Ernter aufzusteigen.
Draußen stob die polymorphe Schar ihrer Kinder auseinander. Die größeren von ihnen breiteten nicht nur die Flügel aus, sondern auch die Kollektorlappen, mit denen sie das Licht der künstlichen Sonnen in biologisch verwertbare Energie verwandeln konnten. Sie würden zu Kurieren heranwachsen, die lange Zeit ohne Nahrung auskommen mussten, während sie über Feyindar von einer Filigranstadt zur anderen flogen, mit memorialen Knoten, die nicht nur Mitteilungen enthielten, sondern auch über Gedanken und Gefühle Auskunft gaben, über Hoffnungen und Wünsche. K-Geräte und moderne Kommunikationstechnik ermöglichten einen schnelleren Informationsaustausch über größere Entfernungen hinweg, aber die Memorialknoten enthielten auch Herz und Seele.
Ein Philosoph, ein Mathematiker, siebenundzwanzig große Kuriere, zweiunddreißig agile Ernter – sie krabbelten bereits über die peripheren Filigrane, auf ihrer instinktiven Suche nach Pilzkolonien –, einunddreißig Helfer, die in verschiedenen Dienstleistungsbereichen heranwachsen würden, und sechzehn Inventoren, dafür geeignet, die alten technischen Systeme auf dem Boden des Planeten – die Produktions- und Recyclinganlagen unter dem Nebel – zu warten
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