Kantaki 03 - Der Zeitkrieg
mit relativer Unsterblichkeit. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, das Streben nach Macht aufzugeben und den Reichtum zu genießen, auf irgendeiner schönen Welt, ohne Gedanken an die Zukunft zu vergeuden. Allerdings stellte sich hier die Frage, ob er überhaupt zu so etwas fähig war, zu einem rein hedonistischen Leben, wie es sein verräterischer Sohn Benjamin geführt hatte, der noch im Spiel gefangen war, zusammen mit den anderen …
Dieser letzte Gedanke brachte eine bittere Erkenntnis. So viele Möglichkeiten ihm auch offen zu stehen schienen – die Welt, alle Welten, das Universum konnten nie wieder das sein, was sie einmal gewesen waren. Die Temporalen würden weiter die Zeitlinien manipulieren, bis sie ihr Ziel, den kosmischen Kollaps, erreichten, und Olkin würde weiter nach ihm suchen. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr Unruhe entstand in seinem Inneren, und er fragte sich, warum es so schwer war, den richtigen Weg in die Zukunft zu wählen. Und gab es ihn überhaupt, den richtigen?
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Carmellina Diaz besorgt, und Valdorian begriff, dass er dem Gespräch am Tisch nicht mehr gefolgt war.
»Ich bin nur … ein wenig müde«, sagte er.
»Wir ziehen uns jetzt zurück.« Plötzlich standen Carmellina und Roald, und Valdorian erinnerte sich nicht daran, dass sie aufgestanden waren. »Es gibt sicher einige Dinge, über die ihr beide allein miteinander reden wollt.«
Lidias Eltern verließen die Küche, Carmellina mit einem freundlichen Lächeln, Roald mit einem kurzen, wortlosen Nicken, und Valdorian sah dabei zum ersten Mal ganz deutlich die schwere Bürde des Alters, die auf ihnen lastete. Sie gingen ein wenig gebeugt, selbst der große, so kräftig wirkende Roald. Vor seinem inneren Auge sah Valdorian den Greis im Bett, den er getötet hatte, und sich selbst, in den Spiegeln von Mirror, ein grässliches, von Alter und Sterblichkeit geschaffenes Zerrbild. Furcht und Hass zitterten stärker in ihm.
Lidia räumte den Tisch ab, und nach kurzem Zögern half Valdorian dabei – für ihn eine völlig neue Erfahrung. Er erinnerte sich nur vage daran, jemals so etwas getan zu haben, vor hundertvierzig Jahren, als Kind. Lidia gab Teller und Besteck in einen Reinigungs- und Wiederaufbereitungsservo, kehrte ihm dabei den Rücken zu.
Ein Messer erschien in Valdorians Hand.
Es war plötzlich da, ohne dass er sich daran entsann, es ergriffen zu haben, ein langes Messer, die Stahlkeramikklinge spitz und scharf, der dicke Griff aus Synthomasse. Und es schien sich von ganz allein auf Lidias Rücken zu richten …
Es gab noch eine andere Möglichkeit in dieser Welt, begriff Valdorian: Er konnte Lidia töten. Er konnte sich hier und jetzt für all das rächen, was sie ihm angetan hatte. Und vielleicht war das sogar die beste Möglichkeit von allen, denn ihr Tod mochte die alten Wunden in ihm heilen und ihn endlich zur Ruhe kommen lassen. Sie sterben zu sehen, diese Frau, die sich gegen ihn und für die Kantaki entschieden hatte, die Unsterblichkeit genoss, aber eben nur relative …
Die rechte Hand mit dem Messer setzte sich in Bewegung …
»Warum sind Sie hier, Dorian?«, fragte Lidia und drehte sich um.
Das Messer lag wieder auf dem Tisch, und Valdorian starrte erschrocken und verblüfft auf seine rechte Hand hinab. Sie ballte sich wie ganz von allein zur Faust.
»Diese Welt ist nicht richtig«, brachte er hervor.
»Das sagt mein Vater oft. Es würde ihn sicher erstaunen, dass Sie ihm zustimmen.«
»So meine ich das nicht. Ich … Ist Ihnen nie etwas aufgefallen? Gab es nie Augenblicke in Ihrem Leben, in denen Ihnen irgendetwas seltsam erschien?«
»Als Kantaki-Pilotin begegnet man vielen seltsamen Dingen …«
»Haben Sie jemals von den Temporalen gehört?«
Lidia sah ihn groß an und schüttelte den Kopf.
»Die Kantaki müssten von ihnen wissen«, sagte Valdorian und berichtete von den Ereignissen, erzählte eine hastige und kürzere Version der Geschichte, die Cordoban von ihm gehört hatte.
»Dorian … Sie sind sehr krank gewesen und haben eine umfassende Resurrektion hinter sich«, sagte Lidia vorsichtig. »Vielleicht leiden Sie noch an den Nachwirkungen. Sie …«
»Was war das?«, fragte Valdorian.
Einige Sekunden lang schwiegen sie beide. Draußen heulte kalter Wind, und das Heulen drang, von den Fenstern gedämpft, durchs Haus. Valdorian glaubte, ein dumpfes Knarren und Knistern gehört zu haben, das nicht zu den anderen Geräuschen passte. Er
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