Kantaki 06 - Feuerträume (Graken-Trilogie 3)
Hilliot, was bedeutete, dass nur ein Rekrut in die Tiefe stürzte und die vier anderen gerettet waren; aber für Hilliot hätte es zweifellos den Tod bedeutet. Oder sie mussten irgendwie Hilliots Levitator aktivieren, und zwar schnell, bevor ihr Bewegungsmoment zu groß wurde.
Nektar handelte, betätigte die Kontrollen seines eigenen Levitators und veränderte sein Schwerefeld so, dass er sich dem größeren Jungen näherte. Er kam an Mel vorbei, deren Gesicht Entsetzen zeigte, und an Gregor, der die Augen zugekniffen und den Mund weit aufgerissen hatte – sein Schrei hallte weit durch die Schlucht. Xana bemühte sich verzweifelt, ihre Flügel auszubreiten, doch deren Lähmung dauerte an.
Als Nektar Hilliot erreichte, versuchte der größere Junge, sich an ihm festzuklammern, als könnte er auf diese Weise den Sturz in die Tiefe beenden. Wie viel Zeit blieb noch?, fragte sich Nektar. Sie waren bereits recht schnell, und wenn es ihm nicht gelang, Hilliots Levitator in den nächsten Sekunden einzuschalten, stand ihnen allen eine ziemlich harte Landung bevor.
Er versuchte, den Armen zu entgehen, aber sie schlangen sich immer wieder um ihn. Hilliot heulte, und in seinem gegenwärtigen Zustand hörte er die Stimme der Vernunft noch viel weniger als vorher. Nektar sah keine andere Möglichkeit und versetzte ihm einen Schlag in die Seite, dorthin, wo es wehtat und einem der Atem wegblieb. Hilliot heulte noch lauter und krümmte sich zusammen. Der kleinere Junge scherte sich nicht darum und wusste, dass er sich von nichts ablenken lassen durfte. Seine Hände erreichten endlich die Kontrollen am Gürtel, und er griff nicht nach den Aktivierungsschaltern, sondern nach den Schaltflächen für einen Systemreset, in der Hoffnung, dass die Semiintelligenz des Überlebensanzugs den Grund für die Funktionsstörung erkannte und andere Möglichkeiten fand, den Levitator zu aktivieren.
Das schien tatsächlich der Fall zu sein. Nektar spürte, wie ein Schwerefeld entstand und Hilliots Taumelbewegung stabilisierte, aber ein Blick nach unten sagte ihm, dass es zu spät war für eine synchronisierte Gegenbeschleunigung – die angesichts ihrer geschwundenen Energiereserven ohnehin nur für wenige Sekunden möglich gewesen wäre.
»Abrollen!«, rief Nektar. »Rollt euch beim Aufprall so gut wie möglich ab.«
Mit einem kurzen Blick stellte er fest, dass die Quinqu Xana vermutlich im Fluss landen würde, was angesichts ihres geringen Gewichts vielleicht ein Vorteil war. Auf alle anderen wartete der Sand des Ufers. Sand war nicht so hart wie Felsgestein, aber …
Der Aufprall kam einem gewaltigen Hammerschlag gleich, der den ganzen Körper traf, und Nektar verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, einige Minuten später, sah er Mels Gesicht über sich. Sie hatte Tränen in den Augen. »Xana ist tot«, brachte sie hervor. »Sie ist tot !«
Der zerschmetterte Leib der zarten Quinqu lag am Ufer. Xana war auf einen Felsen im Fluss gestürzt – ausgerechnet! –, und Hilliot hatte ihre Leiche geborgen.
»Wir können sterben«, weinte Gregor. Der Zelttornister war zerrissen, ebenso der Überlebensanzug. Gregors Hände waren blutverschmiert, und Blut zeigte sich auch in seinem Gesicht. »Du hast mich belogen , Nek!«
Nektar ließ sich von Mel aufhelfen und merkte dabei, dass er sich den linken Arm gebrochen hatte. Stechender Schmerz ging davon aus. Gregors röchelnder Atem wies auf eine Lungenperforation durch eine oder mehrere gebrochene Rippen hin. Mel war ungewöhnlich blass, und ihre Augen wirkten glasig. Nektar hob die rechte Hand zu ihrer Stirn und berührte kalte Haut.
»Ich weiß«, sagte sie. »Vermutlich ein Schädeltrauma. Er ist als Einziger unverletzt geblieben.«
Hilliot stand am Flussufer, überprüfte die Systeme seines Überlebensanzugs – jetzt überprüfte er sie! – und schien Vorbereitungen für den Aufbruch zu treffen.
»Ich schaffe es auch allein«, brummte er. »Ich brauche euch nicht. Ich schaffe es allein bis zum Stützpunkt und verdiene mir die volle Punktzahl.«
Kalter Zorn stieg in Nektar empor, fast so intensiv wie damals, als er neben seiner toten Mutter gestanden hatte. Er schenkte dem Schmerz in seinem linken Arm keine Beachtung und trat zu Hilliot, der ihn kommen sah und etwas in seinen Augen bemerkte, das ihn zurückweichen ließ.
»Du willst uns im Stich lassen?«, sagte Nektar langsam. »Du, dessen Nachlässigkeit und Dummheit uns in diese Situation gebracht haben? Xana ist tot,
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